"... ich häng’ an dir, Bochum, ich komm aus dir ..." – was haben wir sie damals mitgegrölt, als sie rauskam vor 30 Jahren, Grönemeyers Hymne an unsere Stadt. Voller Inbrunst. Und Stolz, ja, war so. Ehrliche Haut, ohne Schminke, Herz zählt, Pulsschlag aus Stahl – diese Mischung aus Ruhrgebietsromantik und Selbsterkenntnis. Das war ein Aushängeschild für Bochum, neben manchem anderen. Und heute?! Lassen wir mal die Ruhrgebietsromantik weg und versuchen es mit Selbsterkenntnis.
Bochum hat einiges wegstecken müssen in den vergangenen Jahren. Die "kleine" Großstadt zwischen Essen und Dortmund: eine Stadt mit Nothaushalt, wie so viele Kommunen im Ruhrgebiet, die aber trotzdem die Muskeln spielen lässt. Ihre Bürger sollen den Eindruck haben, dass was geht. Vor ein paar Wochen hat eine Marketingkampagne den neuen Look vorgestellt. Mit von der Partie: mal wieder Grönemeyer, in aufpolierten Versatzstücken. Und mit einer guten Portion Trotz. Den braucht es auch, dringend. Mal wieder richtig Schlagzeilen machen, gute, zeigen, dass es geht in Bochum. Trotzdem, trotz wirtschaftlicher Probleme, trotz Schließung von Opel. Das war der Tiefschlag Ende 2014, und der berührt. Vor allem die Opelaner natürlich, aber auch die, die keine sind. Schon seltsam, der Gedanke: Vor mehr als 50 Jahren waren meine Eltern, Journalisten bei WDR und Westfälischer Rundschau, die ersten, die vermelden konnten, dass Bochum ein Autowerk bekommen würde auf dem Gelände einer stillgelegten Zeche.
Und ein halbes Jahrhundert später habe ich als Redakteurin im Studio Essen sozusagen das Ende "begleitet".
Und trotzdem, das ist der Wandel. Zwangsläufig. "Vor Arbeit ganz grau", daswar mal. "Vor Arbeit ganz schlau", sagen neuerdings die Marketing-Experten. Hat was. Ein paar Kilometer entfernt vom Opel-Gelände liegt die Ruhr-Uni. Mehr als 40 000 Studierende! Hier schlägt Bochums junges Herz. Aus der Entfernung betrachtet wie ein riesiger Bienenstock aus Beton, in dem Zukunft gemacht wird.
Saurier im Ruhrtal
Sie war auch meine Uni, die ich während des Studiums schon mit dem WDR geteilt habe als Autorin und Moderatorin beim damaligen Kabelpilotprojekt in Dortmund. Morgens Uni, nachmittags WDR und abends gerne Abhängen mit Freunden. Im Sommer oft an der Ruhr, Stiepel, im Biergarten der "Alten Fähre". Studis, Radfahrer, Familien. Die trifft man hier immer noch, wenn auch die "Alte Fähre" von ihrem Charme was eingebüßt hat. Aber die Ruhr ist immer noch ganz die alte.
Hier fließt sie ruhig, von oben herab guckt die Burg Blankenstein. Und ich gucke gerne zurück, einfach nur dasitzen, Blick und Gedanken schweifen lassen. Früher habe ich mir oft vorgestellt, wie’s wäre, wenn man eine Zeitreise machen könnte. So eine Stippvisite ins Mittelalter, als die Burg noch bewohnt und die Ruhr befahren war. Aber Geschichte lässt sich hier noch viel weiter zurückverfolgen.
Vor drei Jahren wurde an dieser Stelle eine geologische Sensation entdeckt: die ältesten Saurierspuren Deutschlands. Vater und Sohn waren es, Spaziergänger, die durch Zufall darauf gestoßen sind. Wir haben in der »Lokalzeit Ruhr« natürlich darüber berichtet. Mittlerweile sind Bochumer Forscher dabei zu rekonstruieren, wie der Saurier aussah, der vor 316 Millionen Jahren durchs Ruhrtal wanderte. Tief im Westen ... oder: Tief im Wissen, wie man neuerdings gerne sagt. Marketing!
Oder "Du Blume ... Auf deiner Königsallee". Stimmt, da wächst so einiges. Altes, Bewährtes wie das Schauspielhaus. Frisches, Neues wie Bochums neues Musikzentrum, ein paar 100 Meter weiter. Hier sollen die Bochumer Symphoniker endlich ein eigenes Zuhause bekommen. Bürgerschaft, Politik, Wirtschaft haben da gemeinsam in die Hände gespuckt und das ebenso ambitionierte wie umstrittene Projekt gestemmt. Denn natürlich stellt sich die Frage, ob Bochum so was braucht, wo doch rechts und links in den Städten Konzerthäuser stehen. Heiß diskutiert auch bei uns in der Redaktion. Dazu Bau- und Betriebskosten, die nach Meinung der Gegner nicht wirklich kalkulierbar sind. Und das in einer Stadt mit Nothaushalt!
Da ist es wieder, dieses "Trotzdem". Unbelehrbar oder mutig? Das Konzept jedenfalls macht neugierig, denn hier werden nicht nur die BoSy’s beheimatet sein, sondern noch viele andere Spielarten von Kultur. Und die soll ja die Menschen abholen hier in Bochum.
"Das Herz zählt ohne Schminke"
Wie die so ticken ... – da sind wir beim letzten Werbespruch und den kann ich voll und ganz unterschreiben. "Das Herz zählt ohne Schminke". Im Norden der Innenstadt, da, wo Herner und Dorstener Straße zusammentreffen, entsteht allmählich so was wie ein alternativer Kiez. Da gibt es Alteingesessene wie Irmela Umbach-Schamell, seit 64 Jahren eine Institution mit ihrem Spielwaren- und Kostümladen. Gerade in der Karnevalszeit vollgestopft mit Masken, Perücken, Bärten und allem, was dazugehört – eine Fundgrube für die närrischen Ruhris. Und die gibt’s hier nicht zu knapp!
Oder Müslüm Sahin: Seit 30 Jahren hat er hier seinen türkischen Super- und Feinkostmarkt. "Multikulti", sagen sie da, spielt als Begriff gar keine Rolle mehr. Es sei einfach selbstverständlich so zu leben, Menschen aus bestimmt 20 Herkunftsländern.
Klar, vieles ist noch schäbig in dem Viertel, heruntergekommene Fassaden neben Stuck, bisschen wenig Grün. Aber das kann und wird sich ändern, wenn erst mal Studenten und junge Familien diese Ecke am Kortländer noch mehr für sich entdeckt haben. Dafür will auch Julia Bernecker sorgen, sie sagt: "In Berlin wäre das hier längst ein Szeneviertel." Vor ein paar Monaten hat sie mit Stephanie Müller die Eisdiele Kugelpudel aufgemacht. Avocado-Kokos, Granatapfel-Milcheis, leckere cremige Eissorten. Wenn’s wärmer wird, kann man draußen auf der Bank sitzen und genüsslich schlecken. Und Leute gucken. So wie neulich. Ältere Frau mit Kleinkind im Schlepptau dreht sich um und ruft: "Gezz komma wacker nache Omma!" – Ach ja, Bochum. Ich häng’ an dir. Glückauf!
Astrid Albert arbeitet seit 30 Jahren beim WDR. Zunächst war sie als freie Autorin, Reporterin und Moderatorin für verschiedene Redaktionen – vornehmlich Fernsehen – tätig. Seit 1997 ist die gebürtige Bochumerin fest angestellt. Bis 2001 arbeitete die Redakteurin im Team der »Lokalzeit Dortmund«, dann wechselte sie zum Essener Regionalmagazin.
Dieser Artikel erschien in der WDR PRINT, Ausgabe März 2015.