Autorin im Gespräch

Sabine Peters über "Die dritte Hälfte"

Stand: 15.08.2024, 19:29 Uhr

Wir sind immer länger alt, aber wie geht man die "dritte Lebenshälfte" jenseits der Sechzig am besten an? Sabine Peters lässt uns tief in die Lebenswelten eines liebenswerten Figurenreigens blicken.

"Keiner kann über das Altwerden und über das Altsein die Wahrheit sagen", heißt es bei Martin Walser. Ja, das Erleben des Alters ist subjektiv. Wie unterschiedlich Menschen dem Älterwerden begegnen und vor welchen Herausforderungen sie stehen, erzählt Sabine Peters in diesem Roman.

Ihre männlichen Hauptfiguren sind weit davon entfernt, sich wie bei Walser in leidenschaftliche Affären mit sehr viel jüngeren Frauen zu stürzen. Ganz im Gegenteil, Hauptfigur Hermann Dik, genannt Doc, hält auch jenseits des Pensionsalters an seinen Routinen fest. Jeden Tag leistet er Dienst am Menschen, wenn er in der Praxis einen Patienten nach dem anderen verarztet. Seine Frau Lucy ist schon lange tot, Doc hat sich an das Alleinsein gewöhnt, denkt er. Nur, dass er seit einiger Zeit nachts nicht mehr schlafen kann und ihn Albträume quälen.

Der Brummer dagegen, Docs alter Freund, Kunsthistoriker aus Bonn, hat sich vorzeitig pensionieren lassen. Er will in Ruhe Aufsätze über den englischen Maler Constable schreiben. Der Kettenraucher neigt zur Hypochondrie. Vor allem hat er Angst dement zu werden. Der Brummer ist der Einzige, der dem zugeknöpften und schweigsamen Doc den Spiegel vorhalten kann.

Docs energische Schwester Kerstin hat einiges am Doc auszusetzen. Und an Ehemann Gerd auch. Sie setzt dem Alter auffällig bunte Kleider und Creative Writing-Kurse entgegen. Docs Nachbarin Mechthild Stepper nimmt Doc so wie er ist, regelmäßig kommt sie zum gemeinsamen Filmeschauen vorbei. Docs langjährige Sprechstundenhilfe Christine ist Doc jeden Tag am nächsten. Sie hat die Praxis im Griff. Seit sie den Krebs besiegt hat, lebt sie besser als in früheren Jahren.

Abwechselnd nimmt die Erzählinstanz Doc und seine Bezugspersonen in den Blick. Es sind äußerst liebenswerte Figuren mit dem einen oder anderen Makel, aber auch Qualitäten. Die Leser lernen Docs bedürftige Patienten und ihre Leiden kennen. Wir haben Teil an Gedanken, Briefentwürfen und Selbstgesprächen. Muss man im Alter seinem Leben noch eine neue Wendung geben? Sind Charakter und Wesen nicht sowieso festgelegt? In der Wahrnehmung der Figuren spiegelt sich der Hamburger Stadtteil St. Georg, die Zustände in Altersheimen und der Arztpraxis.

Wie gehen wir alle mit Einsamkeit, den Dämonen der Vergangenheit und einem zunehmend anfälligen Körper um? Sabine Peters Figuren finden Antworten und am Ende würde man so gerne wissen, wie das Leben dieser Jedermänner und -frauen weitergeht.

Eine Rezension von Mareike Ilsemann

Literaturangaben:
Sabine Peters: Die dritte Hälfte
Wallstein, 231 Seiten, 22 Euro.