Neue Musikstile und Klänge sind immer eng mit technischen Entwicklungen verbunden. Scientist, bürgerlich Hopeton Brown, war schon immer von den Geräten hinter der Musik fasziniert. Er kam 1960 in Jamaika zur Welt, sein Vater reparierte Fernseher und Radios und weckte so das Interesse des Teenagers für Elektronik.
Der Klangwissenschaftler
Mit 16 baute Hopeton eigene Soundsystems, mit 17 wird er Aushilfe im Studio von King Tubby, einem der wichtigsten Pioniere des Dub-Mixings. Beim Dub wird ein bestehendes Musikstück nachträglich neu abgemischt, Instrumente an- und abgeschaltet, und Effekte wie Echo oder Hall hinzugefügt. In den 70ern sind die Möglichkeiten der Klangmanipulation noch sehr beschränkt, doch Hopeton hat schon früh Visionen von speziellen Mischpulten, die gebaut werden um Dubmixes zu machen, mit Fadern, die sich selbst bewegen und unendlich vielen Spuren.
Aufgrund seiner visionären Ideen bekommt er den Spitznamen Scientist, im weiteren Verlauf seiner Karriere arbeitet er in den Top-Studios der Insel und von Scientist gemixte Dub-Platten werden in den 80ern zu Kultobjekten. Auch in der elektronischen Szene wird Scientist verehrt – Dubstep- und Drum & Bass-Produzent:innen lieben ihn, weil er schon sehr früh Bässe moduliert hat.
Direct To Dub
Tausende Songs wurden von Scientist gemixt, denn vor allem in den 70ern und frühen 80ern geschah alles in Echtzeit aufgrund der beschränkten technischen Möglichkeiten. Geht ein Stück drei Minuten, dann braucht Scientist auch nur drei Minuten um den Dubmix anzufertigen. Auf seinem neuen Album "Direct To Dub" geht er in diese Zeit zurück. Für das Album wurden zunächst sechs Lieder mit britischen Topmusikern wie Mafia & Fluxy eingespielt, den Gesang übernimmt der Londoner Donovan Kingjay. Danach mischte Scientist die Tracks in Echtzeit, währenddessen wurde der Mix direkt auf eine Lackplatte aufgenommen und von dieser wurden dann die Vinyls gepresst. Auch der Herstellungsprozess ist eine Reise zurück in die 70er, denn das Lackschnitt-Verfahren wurde nur bis in die 80er verwendet, um Schallplatten herzustellen.
Sechs Tracks Vielfalt
"Im Dub wird der Engineer zum Dirigenten eines Orchesters, der den Musikern Kommandos gibt, was sie zu spielen und wo sie zu spielen haben. Der einzige Unterschied besteht darin, dass wir Fader bewegen anstatt einen Stock zu schwingen" - so beschreibt Scientist seine Tätigkeit in dem Buch "Dub-Konferenz" von Helmut Philipps. Genau dieses Vorgehen bekommen wir auch auf "Direct-To-Dub" zu hören. Scientist schaltet an bestimmten Stellen dramatisch das Schlagzeug ab, garniert den Gesang mit Hall, spielt mit Lautstärke, Filtern und Echo. Zwei Songs kommen ohne Gesang aus, sind pures instrumentales Dub-Vergnügen. Bei den Vocal-Stücken hängt Scientist einen ausschweifenden Dubpart hinten dran.
Ebenso vielseitig sind auch die Themen der Songs. Im donnernden "Jail House" geht es um das Leben im Knast mit überfüllten Zellen, im romantischen "Missing You" singt Donovan Kingjay von der Sehnsucht, die ihn erfasst, wenn er von seiner Lady getrennt ist. Das spirituelle "Be Thankful" singt von der Kraft der Rastafari-Religion und besinnt sich auf die afrikanischen Roots der Schwarzen Diaspora. Zum Ende hin entspannen wir uns bei der Ganja-Hymne "Higher Meditation", in der die Kraft des grünen Krauts beschworen wird. "Direct-To-Dub" ist ein spannendes Reggae-Album, mit tollen Songs und einem verspieltem Mix, der von Scientists ungebrochener Experimentierfreude zeugt.