Vier prägende Dekaden

Caetano Veloso

Stand: 08.03.2021, 15:22 Uhr

Der Bahianer ist neben Gilberto Gil der bedeutendste lebende Musiker Brasiliens, seit vier Dekaden ein wandlungsfähiger Interpret und Komponist mit Ausnahmestellung.

Geboren wird er im Hinterland des Bundestaates Bahia, studiert mit seiner Schwester Maria Bethânia in Salvador und lernt Mitte der 1960er Gil, mit dem er seine Vorliebe für die Bossa teilt, Gal Costa und Tom Zé kennen. Als Songschreiber, Filmmusiker und Duettpartner seiner Schwester macht er sich schon einen Namen, bevor die erste CD mit Gal Costa 1967 erscheint. Im Jahr darauf treten Veloso und Gleichgesinnte die "Tropicália" los: Veloso ist die führende und radikalste Stimme der Bewegung, die eine zunächst nur musikalische Neuorientierung darstellt, aber rasch eine politische Dimension bekommt.

Tropicália

Erstmals werden traditionelle Rhythmen mit Rock, die Beatles mit Einflüssen aus dem brasilianischen Hinterland und Bossa teils collagenhaft vermählt, elektrische Instrumente verwendet, was ebenso viele genial wie verräterisch finden. Auf "Tropicália", einem Album, auf dem neben Veloso auch Gilberto Gil, Gal Costa, Maria Bethânia und Os Mutantes sowie weitere junge Künstler mitwirken, formuliert man klanglich das Manifest dieses gegen Zensurgewalt angehenden Movimentos, der Titelsong stammt aus Caetanos Feder. Sein textlich radikaler Song "É Proibido Proibir" provoziert einen Skandal beim Songfestival 1968 und wird disqualifiziert. Wenig später steckt ihn das Militärregime ins Gefängnis, zusammen mit Gilberto Gil, und wie der Weggefährte entschließt er sich - mehr oder minder genötigt - nach der Freilassung ins Londoner Exil zu gehen. 1972 kehrt er zurück, als die Lage sich etwas entspannt.. Seine Auftritte mit Chico Buarque, auf Platte verewigt, zählen zu den Highlight der 1970er, in denen er durch tuntenhafte Allüren und schräge Kostüme nach wie vor eine provokante Rolle in der Música Popular einnimmt.. Mit Gil, Gal Costa und Maria Bethânia formiert er sich 1976 im berühmten Quartett Doces Bárbaros, flirtet mit afrikanischen Klängen auf "Bicho".

Livro

Weitere Alben tragen harmonisch ausgefeilte, komplexe Züge, bis er mit "Estrangeiro" und "Circuladô" einen Brasil-Pop entwirft, der sich rhythmisch stringenter zeigt, bereichert u.a. durch die Perkussionsbeiträge von Carlinhos Brown. 1993 schließlich huldigt er mit Gilberto Gil dem 25. Jubiläum des Tropicalismus auf "Tropicalia 2". Sein Meisterwerk der Neunziger ist sicherlich "Livro", das von smarten Bossa- und Samba-Adaptionen bis zu hörspielartigen Rezitationen ein riesiges Stilspektrum aufzeigt, eingespielt mit Velosos musikalischem Direktor, dem Cellisten Jacques Morelenbaum.
Genauso vielfältig gibt sich der Grandseigneur der MPB in seinen Aktivitäten der letzten Jahre: Changierend zwischen dem Image eines jugendlichen Rebellen und eines alternden Charmeurs mit samtweicher Stimme, ist er zugleich Textschreiber, Dichter und Philosoph, wie in seiner persönlichen Betrachtung der Tropicália "Verdade Tropical". Er wirkt als Regisseur bei seinen Musikvideos, Schauspieler, Komponist von Filmmusiken ("Tieta Do Brasil", "Orfeu") und Produzent anderer brasilianischer Künstler (Virginia Rodrigues). Ein wahrer Gigant der brasilianischen Musik- und Kulturszene, ein Intellektueller, der den Bodenkontakt nie verloren hat. Seine bis dato letzte Platte offenbart ein Liebesbekenntnis in Richtung Rock, Pop und Jazz aus den USA: Von Nirvana über Bob Dylan bis Paul Anka reichen die Coverversionen auf "A Foreign Sound".

Diskografie:

  • Multishow Ao Vivo Abracaco (2013, Universal)
  • Abracaco (2012, Universal)
  • Zii E Zie (2009, Universal)
  • Cê (2006, Universal)
  • Onqotô (2005, Independent)
  • A Foreign Sound (2004, Universal)
  • Noites Do Norte (2001, Universal)
  • Livro (1997, Polygram)
  • Caetano E Chico - Juntos E Ao Vivo (1972, Polygram)
  • Caetano Veloso (1969, Philips)