Das Attribut "frei" klingt in diesem schlichten Werktitel fast beiläufig. So kurz und lapidar, dass man es beinahe übersehen könnte. Dabei ist die Freiheit, in diesem Fall im Schaffen eines jungen Komponisten, der bei der Uraufführung erst 28 Jahre alt war, Fluch und Segen zugleich. "Diese Freiheit", so beschrieb es Jörg Widmann damals, "birgt ganz große Probleme, und jedes Mal wieder muss ich dieser Freiheit neu begegnen mit […] einer Stringenz der Form". Freiheit bedeutet die Abwesenheit von Grenzen. Und natürlich gibt es keine vollkommen "freien" Musikstücke – ebenso wenig, wie es eine absolute Freiheit gibt. Dabei muss der Gegensatz von Freiheit aber nicht unbedingt Zwang lauten. Ordnung kann auch gewählt sein, sie kann Halt geben und Zusammenhang stiften.
In den "Freien Stücken" sind es die Übergänge zwischen den insgesamt zehn, meist beinahe fragmentarisch kurzen Teilen, die formale Stringenz schaffen. Der Schluss des einen bestimmt und grundiert den Beginn des jeweils nächsten. Zugleich stehen die einzelnen Stücke aber für sich selbst, indem sich jedes auf eine Idee konzentriert: auf eine ätherische Klangwolke im ersten Stück, auf gleitende Linien im zweiten und im weiteren Verlauf auf Geräusche, Beben und Zittern oder die Suche nach der Schönheit eines vierteltönigen Akkords. Bei aller Konzentration und Reduktion auf jeweils eine Grundidee gelingt es Jörg Widmann, eine Welt zu entwerfen, die frei ist und doch nicht beliebig. Mit jedem neuen "freien Stück" stößt er die Tür zu einem neuen Raum auf. Und jeder neue Raum gehört ganz offensichtlich zum selben Haus: ob dort eine einsame Violine spielt, die tiefen Holzbläser schäumende Wellen schlagen oder ein geriffelter Klang langsam seine Gestalt verändert.
Diese Musik besteht aus musikalischen Erscheinungen, die sich oft zitternd und von einem seltsam auratischen Schimmer umgeben über die Hörschwelle heben. Jörg Widmann zelebriert ihr Auftauchen und Verschwinden mit Ruhe, Präzision und einer Sorgfalt – oder um es weniger nüchtern zu sagen: mit Liebe. Zugleich sind die "Freien Stücke" "bei aller Kürze, also Reduktion in der Horizontalen, [...] für meine Verhältnisse geradezu üppig ausgefallen, mein erstes wirkliches Ensemblestück", kommentiert der Komponist. Dass diese "Üppigkeit" immer im Dienst der Sache steht, dass der Reichtum an Klangfindungen überrascht und beeindruckt, aber nie zum Selbstzweck wird, hat zum Erfolg der frühen Freiheitserkundung wesentlich beigetragen.