Da reist ein deutscher Künstler in die Wüstenmetropole Dubai, darf und soll sich inspirieren lassen, um das Phänomen der Megacities musikalisch zu reflektieren. Einen Monat verbrachte Jörg Widmann 2008 im Auftrag des Siemens Arts Program am Persischen Golf. Im folgenden Jahr reagiert er auf die Reise mit einer Suite aus neun Tänzen, in denen sich alles andere zu spiegeln scheint als die Wolkenkratzer, Luxusresorts oder generell der entfesselte Kapitalismus der Wirtschafts- und Hightech-Metropole. Was der Komponist und Klarinettist in den Glasfassaden der Wüstenstadt entdeckte, war – eigentlich nicht überraschend – sein eigenes Spiegelbild. "Genauso, wie es einen zu Hause naturgemäß in die Ferne zieht, muss man vielleicht in die Fremde gehen, um das Eigene zu entdecken oder zumindest die Frage danach zu stellen", resümiert Jörg Widmann seine Erfahrungen im Emirat. "Meine Antwort – sei sie nun Konsequenz, Substrat oder Gegenfrage – lautet nun also: 'Dubairische Tänze'."
Dazu zu tanzen, dürfte jedoch selbst den versiertesten Kennern des bayerischen Brauchtums schwerfallen. Die Tänze entziehen dem musikalischen Erbe den Boden, ohne es ins Lächerliche zu ziehen. Sie beginnen mit einem "Zwiefachen" und münden in einen "Marsch". Dazwischen erlaubt sich der Reiserückkehrer mit einer "Valse mécanique" Abstecher in die Welt der schrillen Kirmesmusik, blickt augenzwinkernd zu Maurice Ravel, dessen Klavierstück "Jeux d’eau" ihm den Titel für ein Wüstenwasserspiel liefert, wie es wörtlicher nicht zu verstehen ist, oder erinnert an die eigene Kindheit, wenn das "Schlaflied" "wie eine Spieluhr kurz vor dem Ausklingen" die Zeit anzuhalten scheint.
Die Beschäftigung mit dem "Eigenen" ist fast zwangsläufig ein Blick zurück in die eigene Vergangenheit und die Welt, die den Komponisten geprägt hat. Dass die Heimat nicht nur nostalgische Idealbilder, sondern immer auch zwiespältige, manchmal abgründige Gefühle auslöst, verrät die Musik in fast jedem Augenblick. Die Musik des Orients sickert in diese Suite nur manchmal ein, wenn sich "Arabesken hineinschleichen". Aber gerade die gehören – das weiß Widmann – schon seit den Moriskentänzen und damit seit Jahrhunderten fest zur bayerischen Kultur.