Werkeinführung: Strawinsky - "Dumbarton Oaks"

Von Otto Hagedorn

So manche bedeutende Komposition wäre nicht entstanden, hätte sie nicht eine Mäzenin oder ein Mäzen großzügig in Auftrag gegeben. Auch Igor Strawinsky konnte zeit seines Lebens verschiedene Geldgeber für sein Schaffen gewinnen. So etwa im Rahmen der Uraufführung seines Balletts "Jeu de Cartes" 1937 in der New Yorker Metropolitan Opera. Hier wurde er mit dem amerikanischen Diplomaten Robert Woods Bliss und seiner Frau Mildred Barnes Bliss bekannt gemacht. Die beiden hatten mit ihrem beträchtlichen Vermögen 1920 einen Landsitz namens "Dumbarton Oaks" in einem idyllischen Vorort von Washington D. C. erworben. Auf dieses ehrwürdige Anwesen mit seinen prächtigen Gärten luden sie den Komponisten als ihren Gast ein. Und die Dame des Hauses wünschte sich dezidiert ein Werk "im Umfange der Brandenburgischen Konzerte" von Johann Sebastian Bach. Damit sollte der dreißigste Hochzeitstag des Ehepaares gebührend begangen werden. Strawinsky sagte gern zu – und reiste mit seinen Eindrücken von Dumbarton Oaks vorerst wieder nach Frankreich, wo er zu dieser Zeit lebte. Wie sich der Komponist erinnert: "Ich war von Paris nach Annemasse in der Haute-Savoie gezogen, um in der Nähe meiner Tochter Mika zu sein, die todkrank an Tuberkulose war und dort in ein Sanatorium eingewiesen wurde."

Während der Komposition an seinem Konzert für Kammerorchester in Es spielte er "regelmäßig Bach" und fühlte sich "sehr zu den 'Brandenburgischen' Konzerten hingezogen. Ob das erste Thema […] jedoch eine bewusste Anleihe aus dem dritten Brandenburger ist, weiß ich nicht". Und tatsächlich: Eine latente Ähnlichkeit der beiden Werkanfänge ist nicht von der Hand zu weisen. Doch selbstverständlich tappt Strawinsky nicht in die Falle, Bach lediglich zu imitieren. Wie in zahlreichen anderen Werken verwandelt er sich auch hier absolut souverän den Stil eines anderen Komponisten an – und schafft es doch, etwas vollkommen Neues, Eigenes daraus zu formen. Mildred Barnes Bliss war erwartungsgemäß begeistert und legte direkt ein Angebot nach: Auch Strawinskys Sinfonie in C verdankt sich ihrer großzügigen Unterstützung. Sicherlich kein Zufall, dass er sich zu dieser Zeit dazu entschloss, endgültig in die USA zu übersiedeln.