März 1918. Fünf Monate nach der Oktoberrevolution verlässt Sergej Prokofjew seine Heimat Russland. Von Moskau reist er über Sibirien nach Japan, von dort schifft er sich nach San Francisco ein und erreicht schließlich im Spätsommer New York. Anders als erhofft, rollt das Land der unbegrenzten Möglichkeiten keinen roten Teppich für ihn aus. Immerhin aber lernt Prokofjew hier seine spätere erste Frau kennen. Private Heimat in der Fremde.
Und: Im Jahr darauf komponiert er seine wohl beliebteste Oper, "Die Liebe zu den drei Orangen". Kaum ist die Tinte der Partitur getrocknet, gibt es ein unerwartetes Wiedersehen: "Im Herbst 1919", so erzählt es der Komponist in seinen Lebenserinnerungen, "kam das jüdische Ensemble 'Zimro' nach Amerika. Es bestand aus einem Streichquartett, einem Klarinettisten und einem Pianisten. Alle waren seinerzeit meine Mitschüler am Petersburger Konservatorium gewesen." War Prokofjew mangels künstlerischer Perspektive aus Russland emigriert, kamen seine jüdischen Kommilitonen als Flüchtlinge in die USA. Denn seit der Machtübernahme der Bolschweiki erlitten Juden in Russland brutalste Übergriffe. Allein im Jahr ihrer Flucht hatten zahllose Pogrome 150.000 Todesopfer gefordert.
Ein klingendes Denkmal
Die "Zimro"-Musiker hatten, so Prokofjew weiter, "ihre Konzerttournee unternommen, um Geld für die Gründung eines Konservatoriums in Jerusalem aufzubringen. [...] Sie baten mich, für sie eine Ouvertüre für sechs Instrumente zu schreiben und gaben mir ein Heft, in dem jüdische Melodien aufgezeichnet waren. [...] Eines Abends wählte ich daraus ein paar schöne Melodien und begann über sie am Klavier zu improvisieren. [...] Am nächsten Tag arbeitete ich die Themen aus, und am Abend war die Ouvertüre fertig [...]; sie hatte ziemlichen Erfolg."
Dieser Erfolg war wohl auch der Grund dafür, dass Prokofjew das Stück 1934 für kleines Orchester bearbeitete. Den typischen Klezmer-Klang der Klarinette hat er bewahrt: ein klingendes Denkmal für die jüdischen Opfer des Jahres 1919.