Literatur, gesellschaftliche Fragen und ihr jüdischer Glaube spielen in Sarah Nemtsovs Kunst eine tragende Rolle. 2020 wurde sie beim Opus Klassik als "Komponistin des Jahres" nominiert. Ihr Schaffen umfasst mittlerweile über hundert Werke, in denen sie ganz unterschiedliche Einflüsse verarbeitet, von der Renaissancemusik bis hin zum Jazz. Bekannt machten sie besonders die Opern "L’Absence" (2012) bei der Münchner Biennale und "Sacrifice" (2017) an der Oper Halle. Früh entdeckte die in Oldenburg geborene Tochter einer Malerin ihre kreative Ader und gewann mehrfach den Wettbewerb "Jugend komponiert". Auch als Blockflötistin und Oboistin war sie erfolgreich. Ihr Kompositionsstudium absolvierte sie an der Musikhochschule Hannover und später als Meisterschülerin von Walter Zimmermann an der Universität der Künste Berlin.
Ihr neues Werk "Tikkun" weist auf ein hebräisches Wort. Die Herkunft dieses Titels erklärt Nemtsov so: "'Tikkun olam' bedeutet 'Heilung' oder 'Reparatur der Welt' und gilt als wichtiges ethisches Prinzip im Judentum, als eine wesentliche Aufgabe des Menschen: Er soll zur Verbesserung des Zustands der Welt beitragen." Nach mystischen Vorstellungen zerbrachen einst göttliche Lichtgefäße, und ihre Funken verteilten sich als Lebenskräfte über die Welt. Das Zerbersten brachte jedoch auch das Böse mit sich. Tikkun bedeutet, diese Funken wieder einzusammeln und somit die Risse in der Welt zu kitten. So sammelt auch Nemtsov verschiedene Klänge in ihrer Musik ein und erklärt zu den suggestiven Anfangstakten: "Die Streicher beginnen das Stück, indem die Spieler und Spielerinnen nur die Finger auf dem Griffbrett bewegen, ein ganz leises Geräusch, kaum wahrnehmbar, ein imaginierter Klang, schließlich kommt der Bogen hinzu (eine erste 'Heilung'?)".
"Tikkun" kann in verschiedenen Versionen gespielt werden: als Orchesterstück für Streicher, Perkussion und Stereo-Soundfiles wie bei der heutigen Uraufführung oder zusätzlich mit vier Soloinstrumenten. Es bildet den letzten Teil von Nemtsovs fast vollendeter Tetralogie "Tzimtzum", einem Zyklus über mystische Schöpfungsvorstellungen.