Kaum ein anderes Werk ist so umrankt von Mythen und Legenden wie das Requiem von Mozart: Ein "unbekannter Bote" übergab dem Komponisten den Auftrag, den er allerdings nicht mehr vollenden konnte. Fertigstellen mussten ihn seine Schüler, jedoch unter größter Geheimhaltung, womit die Spekulationen bereits ihren Anfang nahmen.
Zu den wenigen Klarheiten gehört heute, dass der Auftraggeber Graf Walsegg war, der seiner jung verstorbenen Frau ein musikalisches Denkmal setzen wollte. Der leidenschaftliche Musikliebhaber schmückte sich gern mit fremden Federn: Bei renommierten Komponisten bestellte er Werke, die er dann als seine eigenen ausgab. Genauso verfuhr er auch mit Mozarts Requiem.
Einige Wochen nach dem Eintreffen des Boten befasste sich Mozart intensiv mit dem Requiem, wahrscheinlich war ihm auch an dem stolzen Honorar von 50 Dukaten gelegen, immerhin ein halbes Opern-Honorar.
Als Torso liegen geblieben
Beim Komponieren solch umfangreicher Werke hatte Mozart die gesamte Komposition fertig im Kopf, bevor er daran ging, alles aufs Papier zu bringen. Zunächst schrieb er die wichtigsten Stimmen nieder, beim Requiem die Chorstimmen, den Orgelbass und die wesentlichen Instrumentalstimmen. Erst danach füllte er die leer gebliebenen Stellen vollständig aus. Diese Arbeiten musste Mozart jäh unterbrechen, denn er erkrankte ganz überraschend und starb in der Nacht zum 5. Dezember 1791. Das Requiem blieb als Torso liegen: Nur den ersten Satz hatte er vollständig notiert, die folgenden Abschnitte sind fragmentarisch geblieben, von den letzten vier Sätzen gibt es keine einzige Note von ihm selbst.
Mozarts Witwe Constanze hatte nun die Familie zu versorgen und musste sehen, dass sie auch die zweite, noch nicht bezahlte Hälfte des Honorars erhielt. Der Auftraggeber sollte ein vollständiges Manuskript bekommen, mit einer vermeintlich von Mozart stammenden Komposition. So beauftragte sie einen Schüler Mozarts nach dem anderen, die aber alle nach kurzer Zeit aufgaben. Erst Franz Xaver Süßmayr übernahm die schwierige Aufgabe, nicht nur die Lücken in Mozarts Partitur zu füllen, sondern auch die letzten Sätze eigenständig zu komponieren. Am Schluss schrieb er dann das ganze Werk ab, wobei er in der gesamten Partitur die Handschrift Mozarts täuschend echt nachahmte.
Das Mozart Requiem und der Streitfall Süßmayr
Süßmayr lag daran, das Werk im Sinne Mozarts zu vollenden. Dazu fühlte er sich durchaus berechtigt, wie ein Brief zeigt, den er schrieb, als der Schwindel mit seinen Ergänzungen aufflog. Darin rechtfertigt er sein Vorgehen, denn angeblich hatte er noch mit Mozart die Sätze "durchgespielt, und gesungen", sie hätten "die Ausarbeitung dieses Werkes sehr oft besprochen", wobei Mozart ihm auch "den Gang und die Gründe seiner Instrumentierung mitgeteilt hatte."
An diesem Brief entzünden sich bis heute Diskussionen: Kannte Süßmayr tatsächlich Mozarts Absichten? Auffallend ist, dass Süßmayrs Ergänzungen an einigen Stellen durch motivische Bezüge einzelne Sätze geschickt miteinander verklammern – so, wie es Mozarts Art zu komponieren war. Dem gegenüber stehen aber zahlreiche unbeholfene Kompositionstechniken, mit teilweise eklatanten Fehlern. So liegt die Vermutung nahe, dass Süßmayr tatsächlich auf Ideen Mozarts zurückgreift, diese aber weniger genial umsetzt.
Bis heute nehmen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ebenso wie Musiker und Musikerinnen die Partitur vor, um Mozarts Ideen aufzuspüren und sie besser hörbar zu machen, indem sie die Ergänzungen von Süßmayr bearbeiten oder kürzen. Auch Robert Levin, dessen Bearbeitung heute erklingt, will durch einen transparenten Satz und zurückhaltende Instrumentation die originalen Teile von Mozart deutlicher nachvollziehbar machen.
Heftig diskutiert haben die Forscher und Forscherinnen auch über sogenannte "Zettelchen", auf denen Mozart seine Ideen angeblich skizziert hatte. Lange wurde deren Existenz infrage gestellt, bis 1962 tatsächlich ein solches "Zettelchen" auftauchte. Es zeigt zwei Themen für eine Fuge, die offensichtlich nach dem Lacrimosa erklingen sollte – Mozart ließ an dieser Stelle in der Partitur auch zweieinhalb Seiten frei. Aus diesen Themen hat Robert Levin eine Fuge über das Wort "Amen" komponiert. Damit enden alle Teile des Requiems mit einer Fuge und erhält das Werk seine von Mozart beabsichtigte Struktur. Obwohl wir Mozarts Notentext nur als Fragment kennen, ist die Kernaussage seines Requiems doch deutlich hörbar: Die Musik zeugt von einer Hoffnung, die über das Bedrohliche des Todes siegt. Selbst die Posaune des Jüngsten Gerichts weckt zunächst einschüchternd die Toten aus ihren Gräbern, um dann aber in einer lieblichen Kantilene tröstlich fortzufahren. Diese Gedanken fasste Mozart schon früher in Worte, als er seinem Vater schrieb: "da der Tod […] der wahre Endzweck unseres Lebens ist, [… hat] sein Bild nicht allein nichts schreckendes mehr für mich […], sondern recht viel beruhigendes und tröstendes!"