Eine der legendären Aufnahmen von Gustav Mahlers 6. Sinfonie ist eine des WDR Sinfonieorchesters, aufgenommen am 31. August 1959 im Klaus-von-Bismarck-Saal des Funkhauses am Wallrafplatz. Als Klangmagier am Dirigentenpult: Dimitri Mitropoulos. Diese musikalische Begegnung war von gegenseitiger Wertschätzung geprägt, denn schon in den 1950er Jahren hatte Mitropoulos mehrfach am Pult im Kölner Sendesaal gestanden. Und die Bandbreite des Repertoires war dabei so vielgestaltig wie seine Dirigentenpersönlichkeit selbst: Mendelssohn und Couperin, Prokofjew und Berlioz (das Requiem!), Gunther Schuller und Richard Strauss, Schönberg und Debussy. Im Jahr vor seiner denkwürdigen Kölner Mahler-Interpretation hatte Mitropoulos seinen Chefposten beim New York Philharmonic an Leonard Bernstein übergeben. Wieder ein Jahr später, am 31. Oktober 1960, kehrte er mit Mahler zum damaligen Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester zurück. Die Aufführung der dritten Sinfonie sollte sein Vermächtnis werden: Zwei Tage später erlitt er bei einer Probe zum selben Werk in der Mailänder Scala einen Herzinfarkt und brach tot zusammen.
Mahler und Bernstein gelten als Ausnahmetalente, die gleichermaßen als Komponist und Dirigent Großes geleistet haben. Dass auch Mitropoulos ein ingeniöser Komponist war, ist hingegen kaum bekannt. Doch war er hier ein Senkrechtstarter. Mit gerade einmal 19 Jahren komponierte er seinen großen orchestralen Trauergesang "Burial" ('Begräbnis'). Musik der frühen Moderne, die ihre Fühler in die Vergangenheit ausstreckt, etwa zu Johann Sebastian Bachs Choralvorspiel "Nun komm, der Heiden Heiland" BWV 659, das in der Orchesterbearbeitung von Ottorino Respighi eine ähnliche Klangaura verströmt. Mitropoulos hatte selbst als 16-Jähriger Bachs Fantasie und Fuge g-Moll BWV 542 für Orchester gesetzt, und auch einige seiner Kompositionen verweisen auf das Barock, etwa ein Concerto Grosso von 1929. Aber auch in die Zukunft scheint "Burial" vorauszuweisen, etwa zum 1. Satz von Henryk Góreckis 3. Sinfonie ("Sinfonie der Klagelieder"). Insgesamt eine bemerkenswert gefühlsintensive Talentprobe des jungen Dimitri Mitropoulos.