"Meine 5. Sinfonie ist ein verfluchtes Werk. Niemand kapiert sie." So frustriert kommentierte Gustav Mahler die Aufführung seines neuesten Werks 1905 in Hamburg, wo er als ehemaliger Operndirektor doch eigentlich auf eine treue Fangemeinde zählen konnte. Und auch ein italienischer Kopist, der die Partitur für ein kurz darauf angesetztes Konzert in Triest abschrieb und dabei zahlreiche Änderungswünsche des Komponisten einarbeiten musste, kritzelte genervt "La sinfonia maledetta" aufs Deckblatt.
Diese Äußerungen erstaunen angesichts der Tatsache, dass die Fünfte heute zu den beliebtesten Mahler-Sinfonien zählt. Die Gründe dafür, dass sie das damalige Publikum so nachhaltig irritierte und ihren Schöpfer so viel Kraft kostete, sind auf mehreren Ebenen zu suchen. Klar ist: Diese Sinfonie hebt sich von den vier vorangegangenen deutlich ab. So verzichtete Mahler hier auf eine Gesangsstimme, durch die er seine Sinfonien Nr. 2 bis 4 mit dem Lied-Genre verschränkt hatte. Dafür legte er nun mehr Wert auf die Eigenständigkeit der einzelnen Instrumente. Mahler hielt die Einzelparts sogar für "so schwierig zu spielen, dass sie eigentlich lauter Solisten bedürften". Der Dirigent Bruno Walter, der Mahler in Hamburg als junger Korrepetitor assistiert hatte und sich zu einem seiner engsten Freunde entwickelte, konstatierte: "Zwischen die beiden Perioden fällt eine hingebungsvolle Vertiefung in Bach. Namentlich die 'Kunst der Fuge' war es, die einen großen Einfluss auf Mahlers kontrapunktische Arbeit nahm." Mahler selbst äußerte: "Unsagbar ist, was ich von Bach lerne – freilich als Kind zu seinen Füßen sitzend." Diese Hinwendung zur Polyphonie, zu einem dichteren kontrapunktischen Geflecht der Einzelstimmen, erforderte natürlich einen entsprechenden Umgang mit dem Orchester, den auch ein Genie wie Mahler sich erst erkämpfen musste.
Entstanden ist die Sinfonie während der Sommerferien 1901 und 1902 in Maiernigg am Wörthersee, wo Mahler gerne seinen Urlaub verbrachte, um ungestört arbeiten zu können. Am 20. August 1902 berichtete er freudig: "Endlich bin ich fertig! Die 5. Sinfonie ist also auch da." Doch von "fertig" konnte keine Rede sein – wie ein Brief zeigt, den Mahler 1911, also neun Jahre später, von seiner Amerika-Tournee aus New York schreibt: "Die 5. Sinfonie habe ich fertig. Sie musste faktisch völlig uminstrumentiert werden. Es ist unfassbar, wie ich damals so völlig anfängerhaft irren konnte. Offenbar hatte mich die in den ersten vier Sinfonien erworbene Routine hier völlig im Stich gelassen – da ein neuer Stil eine neue Technik verlangte."
"Alles ist rein musikalisch gesagt"
Konsequenterweise ging mit diesem "neuen Stil" auch der Verzicht auf ein Programm einher, also den Verweis auf außermusikalische Inhalte. Bis dahin hatte Mahler es seinen Hörer*innen in dieser Hinsicht ja leicht gemacht, indem er Lieder in seine Sinfonien integrierte. Nun aber war sich Mahler sicher: "Die menschliche Stimme würde hier absolut nicht Raum finden. Es bedarf nicht eines Wortes, alles ist rein musikalisch gesagt." Dennoch sind übereifrige Forscher*innen und Interpret*innen bis heute auf der Suche nach dem vermeintlichen "geheimen Programm" der Sinfonie. Die Musik scheint das ja auch nahezulegen: So eröffnet etwa eine kriegerische Fanfare den ersten Satz. Doch die Musik bricht in sich zusammen und mündet in einen Trauermarsch. Eine bissige Karikatur auf Militärpathos? Jedenfalls gewinnt dieser Marsch mit seinen eingeschobenen Zwischenspielen ein solches Gewicht, dass Mahler ihn als eigenen Satz deklarierte – obwohl es sich eigentlich "nur" um eine ausgedehnte langsame Einleitung zum folgenden "stürmisch bewegten" Satz handelt, mit dem er in vielfältiger Hinsicht motivisch verknüpft ist.
Den Kern der Sinfonie bildet das Scherzo an dritter Stelle. Von gebrochenem Pathos keine Spur; Mahler scheint sich ganz ehrlich an volkstümlicher Musik im Stile eines Ländlers zu erfreuen. In Wahrheit ist diese Musik – ganz im Sinne Bachs – hochkomplex gebaut. "Ich bleibe bei meinem Prinzip, dass sich nichts wiederholen darf, sondern sich alles aus sich selbst heraus weiterentwickeln muss", äußerte Mahler über diesen Satz. "Es ist durchgeknetet, dass auch nicht ein Körnchen ungemischt und unverwandelt bleibt."
Klingende Liebeserklärung
Zur Popularität der Sinfonie entscheidend beigetragen hat das an - schließende Adagietto, spätestens seit Luchino Visconti es in seiner Thomas-Mann-Verfilmung "Tod in Venedig" verwendete, für dessen Protagonisten Mahler als Vorbild diente. Nach Überlieferung des Dirigenten Willem Mengelberg schrieb Gustav Mahler diesen Satz als Liebeserklärung an seine spätere Frau Alma, die er im Herbst 1901 kennenlernte: "Statt eines Briefes sandte er ihr das Manuskript, weiter kein Wort dazu. Sie hat es verstanden und schrieb ihm, er solle kommen." Wer würde angesichts dieser elegischen Musik von Streichern und Harfe, die zudem ein Zitat aus Wagners "Tristan" enthält, nicht dahinschmelzen?
So disparat und unvereinbar die ersten vier Sätze erscheinen mögen – aufgelöst wird dieser Gegensatz im Rausch des finalen Rondos, das zwar etwas schwerfällig beginnt, aber umso schwungvoller endet. Ob Mahler hier dem Beethoven’schen Schema "durch Nacht zum Licht" folgt oder nur eine "erpresste Versöhnung" (Theodor W. Adorno) zur Schau stellt, mag jede*r Hörer*in selbst entscheiden. Mahlers Position ist eindeutig: "Diese Musik entstand ohne äußeren Anlass. Sie ist in mir."