Gustav Mahler - Sinfonie Nr. 1 D-Dur WDR KLASSIK 02.08.2023 54:38 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 WDR

Werkeinführung: Gustav Mahler - Sinfonie Nr. 1 D-Dur

Von Otto Hagedorn

Auch Gustav Mahlers 1. Sinfonie verdankt ihre Existenz der Liebe – und das gleich in doppelter Hinsicht. Bevor Mahler Direktor der Wiener Hofoper wurde, durchlief er zahlreiche Posten an verschiedenen Opernhäusern. Eine seiner frühen Stationen war Kassel. Hier verliebte er sich, ähnlich unglücklich wie später Bartók, in die Sängerin Johanna Richter. Für Johanna schrieb Mahler die Texte und die Musik seiner "Lieder eines fahrenden Gesellen".

Einige Jahre darauf hatte er ein Engagement in Leipzig und begann dort eine Affäre mit Marion von Weber, die mit einem Enkel des Komponisten Carl Maria von Weber verheiratet war. In diesem emotionalen Ausnahmezustand komponiert Mahler seine 1. Sinfonie, zu der er in den letzten Jahren bereits Ideen gesammelt hat. Jetzt bringt er sie in einem regelrechten Furor innerhalb von sechs Wochen zu Papier. Im ersten und dritten Satz zitiert er zwei der "Lieder eines fahrenden Gesellen": "Ging heut’ Morgen übers Feld" und (neben der Mollvariante des Kanons "Frère Jacques") eine Passage aus "Die zwei blauen Augen". Vorläufig nannte er das große Orchesterwerk noch "symphonische Dichtung in zwei Teilen". Diese fünfsätzige Erstfassung enthielt einen zweiten Satz mit dem Titel "Blumine". Die Uraufführung 1889 in Budapest fiel hoffnungslos durch. Zwar jubelte ein Teil des Publikums Mahler ostentativ zu, aber die meisten Konzertbesucher:innen ließ die neuartige Musik ratlos zurück. Diese Erfahrung veranlasste den Komponisten, das Werk für eine Aufführung in Hamburg 1894 zu revidieren. In Anlehnung an den gleichnamigen Roman von Jean Paul gab er ihm nun den Titel "Titan, eine Tondichtung in Symphonieform". Auch die Sätze trugen eigene Bezeichnungen, zudem hatte Mahler ein Programm verfasst. Diese Idee verwarf er später wieder, weil er die Erfahrung gemacht hatte, dass das Publikum die tiefere Idee seiner Musik dadurch aus den Augen verlor. Die endgültige Fassung mit vier Sätzen (ohne "Blumine"-Satz und ohne den Titel "Titan") erschien erstmals 1899 im Druck. Mahler unterzog sie noch zwei weiteren kleineren Korrekturdurchgängen, das letzte Mal im Jahr 1909, gut zwanzig Jahre nach der Komposition.

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