György Kurtág ist erst sehr spät, Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre, als Mittfünfziger, von der Musikszene und einem größeren Publikum als staunenswerte Komponistenfigur wahrgenommen worden. Inzwischen zählt er in der Nachfolge des großen Vorbilds Béla Bartók neben György Ligeti und Peter Eötvös zu den renommiertesten Vertretern der ungarischen Komponistenszene und wurde u. a. mit bedeutenden Auszeichnungen wie dem Österreichischen Staatspreis (1994) und dem Ernst-von-Siemens-Musikpreis (1998) geehrt.
Kurtág, Jahrgang 1926, begann 1946 in Budapest bei Sándor Veress und Ferenc Farkas Komposition zu studieren. Die politischen Aufstände 1956 in seinem Land lösten eine Denk- und Schaffenskrise aus. Abhilfe schuf ein Stipendium für Paris, das ihm 1957/1958 den Besuch von Kursen bei Olivier Messiaen und Darius Milhaud ermöglichte. Auf Rat der Psychologin Marianne Stern hin konzentrierte er sich beim Komponieren zunächst nur auf kleinste Einheiten von zwei oder drei Tönen und bewirkte damit die entscheidende Wende Kurtágs hin zu einem Komponieren in kleinen Formen und für reduzierte Besetzungen. Dies ist inzwischen zum "Markenzeichen" des Ungarn geworden: In den oftmals nur wenige Minuten dauernden Stücken mit Titeln wie "Zeichen", "Splitter" oder "Botschaften" eröffnen sich Miniatur-Kosmen, in denen nach Kurtágs Vorstellung das Meiste an Ausdruck und Inhalt mit möglichst wenigen Tönen gesagt werden soll. Den Interpretinnen und Interpreten obliegt es, den wenigen Noten Leben einzuhauchen – bei Gelingen in der Regel mit beglückendem emotionalem Ergebnis.
In dem seit 1989 als "work in progress" entstehenden Werkzyklus "Jelek, Játékok és Üzenetek" ("Zeichen, Spiele und Botschaften") für Streichinstrumente in verschiedenen Besetzungen räumt Kurtág den Spielerinnen und Spielern eine entscheidende mitschöpferische Rolle ein. Die Sammlung "signs, games and messsages" (1989 – 2005), speziell gedacht für Streichtrio, kann im Konzert beliebig zusammengestellt werden. "Perpetuum mobile" ist eine Studie über die Intervalle Quinte und Terz, die, unaufhörlich sequenzierend, einem auf- und absteigenden Richtungswechsel unterzogen werden. Werktitel wie "Hommage à ... " finden sich oft bei Kurtág, ob nun als Huldigungen, Erinnerungen oder Widmungen verstanden. Die "Hommage à John Cage" ist ein unermüdlicher Versuch, sich zu artikulieren und doch stets zu scheitern. Eine Musik kurz vor dem Zerbröseln, ja Verstummen, Dauer: weniger als zwei Minuten. In der "Hommage à J. S. Bach" reibt sich die in großen chromatischen Sprüngen verlaufende Melodielinie der Violine an den von Viola und Cello stützend dagegengehaltenen Begleittönen. Kurtágs "Hommages" sind rein private Mitteilungen an ihre Widmungsträger, so bleibt auch hier die Botschaft dem eigenen Nachsinnen überlassen.
Große Emotionen auf kleinstem Raum
Einige Stücke greift György Kurtág in seinem Schaffen immer wieder auf. So auch "Virág az ember", übersetzt etwa "Blumen sind die Menschen, nur Blumen", das sich in den "Sprüchen des Péter Bornemisza op. 7" und auch in der Sammlung "Játékok" ("Spiele", 1973 ff.) findet. Auf die Version für Streichtrio "Virág az ember, Mijakónak" ("Der Mensch ist eine Blume, für Miyako") trifft zu, was der Musikwissenschaftler Hartmut Lück einst über Kurtágs Musik schrieb: "Sie ist zerbrechlich, schutzlos, wie unbeholfen tastend durchs Weglose, schwankend zum Rand des Verstummens hin – aber dabei glühend von emotionaler Intensität." Der Einsatz von Hoteldämpfern bei den Streichern bewirkt in diesem eineinhalb-minütigen Stück den besonderen Klang (sanft, gebrochen) im changierenden Wechselspiel von Dur und Moll – vielleicht wie das Aufblühen und Welken von Blumen.
Voller Witz und schrägem Humor dagegen ist der Pizzicato-Walzer "Hommage à Ránki György". In "Ligatura Y" imitiert Kurtág mittelalterliches Komponieren ("Note gegen Note"), übersetzt in seine kontrapunktisch geschärfte Sprache. Mit Dämpfereinsatz wird im Stück "Virág – Zsigmondy Denesnek" dem Andenken eines verstorbenen geliebten Menschens gedacht (der Ehefrau des Widmungsträgers). "Wie ein Stöhnen" lautet dazu Kurtágs Spielanweisung. Dramatischer Ausklang mit "Jelek VI": hier verstören scharfe Dissonanzen, abrupt abbrechende Streicherakkorde und ein insgesamt stark aufgerissenes Klangbild. Große Emotionen auf kleinstem Raum.