Vivian Fungs "Earworms" thematisiert die Freuden und Nöte der Mutterschaft, insbesondere die nicht immer beglückende Berieselung mit Musik. Die in Edmonton als Tochter chinesischer Einwanderer geborene Komponistin erweist sich hier voll und ganz als Kind der amerikanischen Musikkultur.
Als Vivian Fung an der New Yorker Juilliard School studierte, erhielt sie von ihrem Mentor einen seltsamen Rat. "Du musst dich entscheiden", sagte David Diamond zu der jungen Kanadierin, "willst du ein wundervolles Komponistenleben – oder willst du Babys". Zwanzig Jahre später ergab sich für Fung die denkbar beste Gelegenheit, Diamonds Satz zu überdenken: Sie wurde Mutter. Das Orchesterstück "Earworms" (Ohrwürmer, 2017/2018) reflektiert die von ihr gewählte Doppelrolle, indem es Melodien virtuos verarbeitet, die ihr Sohn pausenlos hören wollte oder Vivian Fung aus anderen Gründen während schlafloser Nächte verfolgten. Das bekannteste Thema aus Ravels "La Valse" ist über weite Strecken dominant. Es folgt eine mit "espressivo" überschriebene Passage, die das Signalmotiv aus Charles Ives’ "Unanswered question" zitiert. Direkt anschließend ein weiteres Zitat, versteckt im Glockenspiel: das erstmals 1939 publizierte Kinderlied "The wheels of the bus". In einer zunehmend chaotischer werdenden Entwicklung tritt das Ravel-Thema wieder in den Vordergrund, bis sich die Ereignisse in einem finalen "Mashup" überstürzen und die offenbar entnervte Komponistin vor dem Overkill der wahllos andrängenden Klangmassen kapituliert.