Ob Selbststilisierung oder nicht – Antonín Dvořák meinte einmal von sich selbst: "Ich bin nur ein einfacher böhmischer Musikant". Im Mai 1881 macht dieser so bescheidene Mensch eine Reise, um sich zwei höchst selbstbewussten Persönlichkeiten auszusetzen. Sie bestimmen den Musikmarkt des ausgehenden 19. Jahrhunderts wesentlich mit: Der eine, Verleger Fritz Simrock, hat den Ruf, den von ihm betreuten Komponisten möglichst geringe Honorare zu zahlen, für sich selbst aber das Maximum an Profit herauszuschlagen. Der andere, Eduard Hanslick, ist der Mister Gnadenlos der Musikkritik. Vor ihm zittern die Tondichter. Ein Verriss von Hanslick kann das Aus der Karriere bedeuten.
Mit diesen beiden Raubeinen also trifft sich Dvořák im tschechischen Karlsbad. Vielleicht ist es die entspannte Atmosphäre dieses gediegenen Kurorts, der beide milde stimmt wie selten. Der Hauptgrund aber ist sicherlich die schiere Qualität der Musik, die Dvořák ihnen hier präsentiert. Simrock ist sowieso davon angetan. Denn der Verleger wittert bereits, dass ihm das neue Werk ähnlich viel Geld in die Kasse spülen wird wie schon die acht "Slawischen Tänze" op. 46. Knapp drei Jahre zuvor hatte diese Sammlung die Musikwelt in Begeisterung versetzt. Diesmal hat Dvořák zehn Miniaturen komponiert, und er bezeichnet sie als "Legenden". Es sind kurze musikalische Erzählungen ohne bestimmtes Thema oder Sujet, die durch ihre volkstümlich- tschechischen Klänge wirken wie von einem Barden erfunden.
Und auch Hanslick ist von den Stücken entzückt. In einer Kritik schreibt er: "Die Bezeichnung 'Legenden' rechtfertigt ein gewisser erzählender, episch Maß haltender Ton, welcher die ganze Reihe charakteristisch durchzieht, bald zu geheimnisvollem Flüstern gedämpft, bald zu lebhafter Schilderung sich erhebend. Was da erzählt wird, kann freilich niemand sagen, doch fühlt man, dass das Wunderbare, Märchenhafte dabei eine Hauptrolle spielt." Die Mission von Dvořáks Trip nach Karlsbad ist also geglückt. Und man kann sich sicher sein: Hanslick, der Unerbittliche, wäre auch voll des Lobes gewesen, hätte der Komponist ihm die "Legenden" nicht gewidmet.