Auch der Komponist Anton Bruckner hatte so seine Probleme mit Kritikern. Sie bedrohten zwar nicht Leib und Leben, wohl aber die künstlerische Integrität des Österreichers, der bis heute als täppischer Sonderling dargestellt wird.
Bruckners Problem: Er betrat die Musikszene just in einem Moment erbitterter Kämpfe zwischen den Anhängern von Richard Wagner, die eine inhaltlich aufgeladene Musik als Teil des von ihm proklamierten "Gesamtkunstwerks" forderten, und den Verfechtern "absoluter Musik", die abstrakte Formen wie die Sinfonien von Johannes Brahms bevorzugten. Bruckner schrieb zwar nicht eine einzige Oper und konzentrierte sich fast ausschließlich auf Sinfonik und geistliche Vokalmusik. Doch da er Wagners Tonsprache bewunderte, von ihm nur als dem "Meister" sprach und ihm überdies seine dritte Sinfonie widmete, geriet er bei bekennenden Wagner-Gegnern in Verruf. "Sinfonische Riesenschlangen", spottete Brahms über die Werke seines Kollegen, und Eduard Hanslick, der wichtigste Musikkritiker Wiens, schrieb gar von einem "traumverwirrten Katzenjammerstil". Sicher, als Person gab Bruckner reichlich Anlass zum Spott. Seine ländliche Herkunft aus Oberösterreich, die ihn über das demütigende Amt eines Dorfschullehrergehilfen zum Linzer Domorganisten und schließlich ans Wiener Konservatorium geführt hatte, legte er ebenso wenig ab wie seinen deftigen Dialekt und seine schlabberigen Anzüge. 1880 schrieb die "Deutsche Zeitung" in einem Porträt: "Wer ihn so durch die Straßen wandeln sieht, den wohlbeleibten Mann mit dem kugelrunden, kahlgeschorenen Kopf, der wird – nachdem er unwillkürlich an eine zweibeinige Riesenbirne gedacht hat – glauben, einen incognito reisenden Klosterkellermeister vor sich zu sehen." Derselbe Artikel hielt aber auch fest, es handele sich um "einen der am reichsten begabten Söhne der Heiligen Cäcilia", der Schutzpatronin der Musik.
Als sinfonischer Spätentwickler begann Bruckner erst im Alter von über 40 Jahren, in dieser Gattung zu komponieren. Am Ende seines Lebens konnte er auf eine annullierte und neun offizielle Sinfonien zurückblicken – "Kathedralen nie gehörter Klänge" (Lorin Maazel), die ihn als einen würdigen Erben Beethovens erscheinen lassen. Bruckners sechste Sinfonie nimmt in diesem Kosmos eine Sonderstellung ein. Während er an vielen Werken jahrzehntelang herumdokterte und immer wieder nachbesserte, entstand sie innerhalb eines Jahres direkt in ihrer finalen Fassung. Der Komponist selbst bezeichnete sie als seine "keckste" Sinfonie. Vermutlich spielte er damit auf die durchlaufende Motorik an oder auf den weltlichen Charakter, der die sonst in seiner Musik omnipräsente Religiosität vermissen lässt. Schon der Beginn ist untypisch. Die meisten Bruckner-Sinfonien beginnen mit einem musikalischen "Urnebel", aus dem die Motive des Stückes langsam aufsteigen. Die Sechste dagegen startet mit einem akzentuierten Rhythmus, der fast schon an Ravels 50 Jahre später entstandenen "Boléro" erinnert. Das eigentliche Hauptthema erklingt dann drohend in den tiefen Streichern.
Der langsame zweite Satz erfüllt eher das Bild einer typischen Bruckner-Sinfonie. "Sehr feierlich" strömt die Melodie der Streicher dahin, wird aber mehrfach durch eine unruhige Gegenstimme der Oboe gekreuzt. Das folgende Scherzo nimmt den Bewegungsdrang des Kopfsatzes wieder auf. Hanslick schrieb boshaft, es fessele "ausschließlich durch Seltsamkeit"; und in der Tat irritiert der Wechsel zwischen spukhaften Sequenzen und schmetterndem Blech. Die angestaute Anspannung löst sich schließlich im Finale. An seinem Höhepunkt erklingt noch einmal das Hauptthema aus dem ersten Satz und schlägt so einen Bogen zum Beginn.
Die Wiener Philharmoniker führten 1883 die beiden Mittelsätze auf und "fanden daran solches Wohlgefallen, dass sie heftig applaudierten und einen Tusch machten", wie Bruckner freudig einem Freund berichtete. Vollständig aufgeführt wurde die Sinfonie jedoch erst 1899 von Gustav Mahler; Bruckner selbst hat sie also nie vollständig gehört.