Anton Bruckner - Sinfonie Nr. 8 c-Moll WDR Sinfonieorchester Video 08.02.2019 01:30:07 Std. Verfügbar bis 30.12.2099 WDR 3

Werkeinführung: Anton Bruckner - Sinfonie Nr. 8 c-Moll

Von Otto Hagedorn

Unter den bedeutenden Komponisten des 19. Jahrhunderts ist Anton Bruckner derjenige, der sich von Zweifeln an der Qualität seiner Kompositionen über Gebühr hat beeinflussen lassen. Das Ringen mit dem Material hat wohl jede Komponistin und jeden Komponisten mehr oder weniger umgetrieben. Johannes Brahms etwa hat teils jahrelang gefeilt, wieder verworfen, korrigiert, neu konzipiert. Andere haben bei umfassender Kritik schnell die Reißleine gezogen und fast trotzig am eigenen Entwurf festgehalten, so Peter Tschaikowsky. Bruckner hingegen hat sich jeden Kritikpunkt zu eigen gemacht, ja: er scheint sich dessen nicht wirklich bewusst gewesen zu sein, dass er der autonome Walter des von ihm geschaffenen Werks hätte sein dürfen. Bei ihm ging das so weit, dass er sich unterwürfig für seine vermeintlichen Fehler entschuldigte. Zu seiner achten Sinfonie etwa schrieb er an den Dirigenten Hermann Levi: "Freilich habe ich Ursache mich zu schämen – wenigstens für diesmal – wegen der 8ten. Ich Esel!!!"

Was war geschehen? Zeit seines Lebens hat Bruckner in seinen Sinfonien ungewohnte Formverläufe ersonnen, mit plötzlichen Abbrüchen von Steigerungswellen, die bei seinen Zeitgenoss:innen Unverständnis auslösten – beim Publikum und den Zeitungskritikern sowieso, aber auch bei seinen Vertrauten. Den Freunden war daran gelegen, dass die Aufführungen seiner Werke ihrer grundsätzlichen Qualität gemäß mit Publikumserfolgen bedacht würden. Die Überraschungen im musikalischen Verlauf standen der bekömmlichen "Konsumierbarkeit" seiner Sinfonien jedoch im Wege. Und Bruckner vertraute seinen Beratern. So hat er seine Sinfonien oft nicht nur einmal grundlegend umgearbeitet, sondern gleich zweimal oder gar mehrfach.

Ab der fünften Sinfonie erlangte Bruckner allmählich mehr Souveränität. Er selbst beließ es hier bei der einmal vollendeten Fassung, aber der Uraufführungsdirigent Franz Schalk meinte, sie könne vom Publikum nur verstanden werden, wenn er sie durch letztlich entstellende Eingriffe fasslicher gestalte. Mit der Sechsten und Siebten dann scheint Bruckner ein Formgefühl entwickelt zu haben, mit dem er auch sein näheres Umfeld überzeugte.

Bruckners Geburtshaus in Ansfelden | Bildquelle: picture alliance / akg-images

Über Jahrzehnte hinweg standen die Zeitungsrezensenten und auch das Publikum Bruckners Sinfonien ratlos gegenüber. Mit der Siebten konnte er eine Kehrtwende erzielen: Die Uraufführung am 30. Dezember 1884 unter Arthur Nikisch wurde noch zwiespältig aufgenommen, aber gut zwei Monate später dirigierte Hermann Levi das Werk in München und landete damit den Erfolg, von dem Bruckner lange Jahre geträumt hatte. In einem Hochgefühl machte er sich an die Komposition seiner Achten. Bald ließ er in einem Brief an Schalk verlauten, er habe soeben die Skizzen zum Finale abgeschlossen und damit den "bedeutendste[n] Satz meines Lebens" konzipiert. Es dauerte noch etwa zwei Jahre, bis Bruckner die Skizzen ausgearbeitet und instrumentiert hatte. Voller Euphorie schickte er die vollständige Partitur im September 1887 an Hermann Levi. Doch größer hätte die Fallhöhe kaum sein können. Levi hielt die Komposition für grundlegend misslungen. Den gemeinsamen Freund Franz Schalk ließ er wissen: "ich bin furchtbar enttäuscht. Tagelang habe ich studirt, aber ich kann mir das Werk nicht zu eigen machen." Vor allem finde er "die Instrumentation unmöglich, und was mich besonders erschreckt hat, ist die große Ähnlichkeit mit der 7ten, das fast Schablonenmäßige der Form". Er befürchte, so Levi weiter, dass Bruckner "diese Enttäuschung ganz niederbeugen wird". Dessen ungeachtet schenkte er ihm bald gnadenlos reinen Wein ein. Er sei "geneigt anzunehmen, daß in den letzten Jahren der Isolirung und des fortwährenden Kampfes mit der Welt Ihr Sinn für Schönheit und Ebenmaß und Wohlklang sich einigermaßen getrübt habe. Wie wäre sonst Ihre Behandlung der Trompeten und Tuben (überhaupt der Bläser) zu erklären!" Die Wirkung ließ nicht auf sich warten: Bruckner zog sich etwa ein halbes Jahr in sich zurück. Dann begann er mit Revisionen – aber nicht der Achten, sondern zunächst der Vierten und der Dritten. Erst im Frühjahr 1889 fasste er den Mut, sich das von Levi abqualifizierte Werk vorzunehmen. Das vermeintliche Problem mit den Bläsern löste er nicht, indem er das Blech reduziert hätte, sondern indem er das Holz aufstockte: von ursprünglich doppelter zu dreifacher Besetzung. Und im ausgedehnten Adagio verlangte es Bruckner plötzlich nach drei Harfen. Zwar war er der Meinung: "A Harf'n g'hert in ka Symphonie", doch lapidar merkte er an: "i' hab' ma nöt helf'n könna!"

In dieser zweiten Fassung hat die Achte eine Sonderstellung in Bruckners Gesamtwerk – nicht nur als bis dahin weitaus ausgedehnteste Sinfonie der Musikgeschichte, sondern, wie er sie selbst nannte, als sein "Mysterium", mit dem er Unaussprechliches in nie gehörte Klänge transformierte.

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