"Halb Genie, halb Trottel." So beschrieb Gustav Mahler einmal Anton Bruckner. Diese paradoxe Charakterisierung ist symptomatisch für den großen romantischen Sinfoniker und preisgekrönten Organisten, der sich einem Nachbarn seiner Schwester selbst so vorstellte: "Sie wiss’n wohl net, wer i bin? Ja, i bin dem Kaiser sein Organist und der Gärtnerin Hueber ihr Bruder."
Mit dem Zwiespalt zwischen hohen Ehren und niedriger Herkunft, zwischen geistigen Höhenflügen und peinlichen irdischen Ärgernissen rang Bruckner sein Leben lang. Geboren als Sohn eines Dorfschullehrers, kam er als Chorknabe zur Musik. Über einen demütigenden Umweg als Schulgehilfe wurde er zunächst Organist am heimatlichen Stift Sankt Florian und in Linz, später Hoforganist und Professor für Kontrapunkt in Wien. Seine schlabberigen Anzüge legte er allerdings genauso wenig ab wie seinen deftigen Akzent, der in der Forschung mit Vorliebe in Lautschrift überliefert wird. Wie unbeholfen er sich auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegte, zeigt allein der Brief, mit dem er 1890 bei Kaiser Franz Joseph I. "am allerhöchsten Throne zu Höchstdessen Füßen" anfragte, ob er ihm seine 8. Sinfonie widmen dürfe – wobei er sich vor lauter Unterwürfigkeitsfloskeln völlig verhaspelte: "Eure Kaiser. und Königl. Apostol. Majestät wollen allergnädigst geruhen, die allerehrfurchtsvollste Dedication im Falle allerhöchster Auszeichnung allergnädigst Gnade zu bewilligen und allergnädigst zu gestatten, die alleruntertänigste Dedication auf das Titelblatt setzen zu dürfen."
Gut drei Jahre hatte Bruckner an der Sinfonie gearbeitet, mehrfach unterbrochen durch die umfangreiche Korrespondenz zur Drucklegung der vorangegangenen 7. Sinfonie und ihre ersten Aufführungen 1884 in Leipzig und München. Aber auch seine großen Selbstzweifel, hervorgerufen durch vernichtende Kritiken, ließen ihn zögern und immer wieder an schon geschriebenen Takten herumbasteln.
Am Ende blickt er auf die längste Sinfonie, die die Musikgeschichte bis dahin gesehen hat: gut 80 Minuten Musik. Allein das hymnische Adagio dauert 25 Minuten, so lang wie eine ganze Mozart-Sinfonie! Und schon der düstere, schicksalshafte Beginn des Kopfsatzes signalisiert die Dramatik des Werks, die sich immer wieder über lange Strecken auftürmt. Gewonnen ist sie erstaunlicherweise aus wenigen motivischen Bausteinen, die geschickt kombiniert und mit hochromantischen Harmonien à la Wagner unterlegt werden.
Bruckner-Fans werden typische Elemente wiedererkennen, beispielsweise den "Bruckner-Rhythmus" aus zwei Vierteln und einer Triole, oder die Eigenart, Instrumentengruppen blockweise einzusetzen, wie ein Organist unterschiedliche Register zieht.
Mit der Uraufführung will Bruckner 1887 den Dirigenten Hermann Levi in München beauftragen – aus zwei Gründen: Zum einen war die 7. Sinfonie dort besonders gut angekommen. Zum anderen hat Bruckner bei der Wiener Presse einen schweren Stand; insbesondere der bedeutende Kritiker Eduard Hanslick nimmt Bruckner dessen bedingungslose Wagner-Verehrung übel und überschüttet ihn regelmäßig mit Häme. Also soll das Werk zunächst auswärts erklingen. Doch zu Bruckners Entsetzen winkt der Münchner Maestro ab. Mit der Partitur könne er nichts anfangen, teilt er Bruckners Adlatus Josef Schalk unmissverständlich mit: "Ich finde die Instrumentation unmöglich, und was mich besonders erschreckt hat, ist die große Ähnlichkeit mit der Siebten, das fast Schablonenmäßige der Form." Gegenüber dem Komponisten selbst mutmaßt er diplomatisch, "dass Ihr Sinn für Schönheit und Ebenmaß und Wohlklang sich in den Jahren des Kampfes mit der Welt einigermaßen getrübt habe", und gibt die Empfehlung: "Vielleicht lässt sich durch eine Umarbeitung viel erreichen."
Bruckner erwischt diese Nachricht wie eine kalte Dusche. Er verfällt zunächst in eine tiefe Depression – und stürzt sich dann in die Arbeit. Er renoviert die 8. Sinfonie grundlegend. Und wo er schon einmal dabei ist, zieht er auch gleich die 1., 3. und 4. Sinfonie aus dem Regal und nimmt zahlreiche Änderungen vor. (Tragischerweise wird ihm diese Lebenszeit am Ende zur Vollendung der Neunten fehlen.) Schon bald schreibt er selbstkritisch an Levi: "Freilich habe ich Ursache, mich zu schämen wegen der Achten. Ich Esel!! Jetzt sieht sie schon anders aus."
Tatsächlich ändert Bruckner exakt die Punkte, die Levi in seiner ersten Analyse kritisierte. So ermöglicht der Vergleich mit der Erstfassung einen äußerst aufschlussreichen Schulterblick in seine Komponierwerkstatt. Stichwort Instrumentation: Die Holzbläser sind nun durchgängig dreifach besetzt und ermöglichen damit eine größere Differenzierung des Klangs. Die Wagner-Tuben – eine vom verehrten Meister höchstselbst erfundene Horn-Art – erklingen nicht mehr nur im Finale, sondern auch schon in den vorigen Sätzen. Und auch die Harfen, die Bruckner hier zum einzigen Mal überhaupt in einer Sinfonie besetzt, bekommen mehr Spielzeit. Sein Kommentar: "A Harf’n g’hert in ka Sinfonie, aber i hab’ ma nöt helf’n könna!"
Auch in der von Levi als "schablonenmäßig" kritisierten Form nimmt Bruckner gravierende Eingriffe vor, die den Charakter der Sinfonie grundlegend ändern. Er stellt die Mittelsätze um, so dass nun auf den Kopfsatz zunächst das leichtgängigere Scherzo und dann das intensive Adagio folgt. Und er revidiert den Schluss des ersten Satzes: Anstelle einer mächtigen Apotheose blendet sich die Musik nun leise aus.
Mit diesen beiden Umarbeitungen variiert der Komponist nicht nur das klassische viersätzige Modell (was allerdings bereits in Sinfonien von Haydn, Mozart und Beethoven hin und wieder zu beobachten ist), sondern spannt eine plausiblere Gesamtdramaturgie auf. War die Erstfassung gewissermaßen kopflastig und hatte ihr Pulver schon nach dem ersten Satz verschossen, läuft nun alles auf das "feierliche" Finale hinaus. Darin gelingt Bruckner das Kunststück, alle vorangegangenen Hauptthemen aufzugreifen und in eine gewaltige Coda münden zu lassen. Ein sinnvolles Konzept und ein würdiges Ende für eine Sinfonie, die das menschliche Fassungsvermögen durchaus an seine Grenzen bringt.
Die Kritiker nörgelten trotzdem. Eduard Hanslick lästerte nach der Premiere der Zweitfassung im Dezember 1892: "Alles fließt unübersichtlich, ordnungslos, gewaltsam in eine grausame Länge zusammen. Es ist nicht unmöglich, dass diesem traumverwirrten Katzenjammerstil die Zukunft gehört – eine Zukunft, die wir nicht darum beneiden." Und sein Kollege Max Kalbeck wünschte sich "einen erfahrenen und kaltblütigen Praktikus herbei, damit er, mit der Schere des Redakteurs und dem Rotstift des Zensors bewaffnet, den ausschweifenden Launen des Komponisten Einhalt gebiete und sein übermächtiges Wollen auf das vernünftige Maß eines bescheidenen Könnens zurückführe".
Da half es auch nichts, dass Bruckner nachträglich ein – ziemlich krudes – inhaltliches Programm der Sinfonie lieferte: Der erste Satz verkünde den Tod; das Scherzo porträtiere den "deutschen Michel", der nicht in den Schlaf finde; das Finale zeichne ein Treffen des österreichischen Kaisers und des russischen Zaren in Olmütz nach, komplett mit Kosakenritt, Militärmusik und Trompetenfanfaren. Ob das die Musik fasslicher macht, darf bezweifelt werden. Nötig gewesen wäre es aber ohnehin nicht. Denn auch wenn die Kritiker die Stirn runzelten – das Publikum tobte vor Begeisterung. Schon während der Uraufführung musste sich der Komponist nach jedem einzelnen Satz (!) mehrfach auf der Bühne verbeugen. Und heute gilt Bruckners 8. Sinfonie bei Forschenden, Musizierenden und Zuhörenden unumstritten als eines der größten Tonkunstwerke des Repertoires.