Eine der "bekanntesten Sinfonien der Periode" – so informiert Hermann Kretzschmars auflagenstarker Konzertführer des Jahres 1890 über Max Bruchs erste Sinfonie. Seinerzeit wurde das Werk viel gespielt, das Publikum war mit ihr vertrauter als mit den Sinfonien von Johannes Brahms. Bruch galt unter den Komponisten des Kaiserreichs als der Gediegene – ein musikalisches Pendant zu Samtsofa oder dunkler Brokattapete. Schon den kompositorischen Wagemut des um eine Generation älteren Richard Wagner hatte Bruch verabscheut, ganz zu schweigen von den himmelstürmenden Kakophonien eines Richard Strauss. "Musikalische Sozialdemokratie" – das war Bruchs Schmähwort für all jene, durch deren "Zukunftsmusik" die Zeit mehr und mehr über ihn hinwegging. Und als bei Anbruch der Moderne die dunklen Möbel aus den Wohnzimmern verschwanden, wurde der Großteil von Bruchs Werken aus den bürgerlichen Konzertsälen gleich mit entsorgt.
Im Jahr 1867 hingegen lag die Musikwelt Bruch noch zu Füßen. Sein erstes Violinkonzert war neben dem von Mendelssohn das beliebteste seiner Gattung; die großen Chorvereinigungen rissen sich förmlich um jedes seiner Oratorien. Mit den Erfolgen als Komponist konnte Bruch also zufrieden sein, nur als praktischer Musiker will er höher hinaus. Seine Musikdirektorenstelle in Koblenz beginnt ihm schal zu werden. Ein Angebot aus Sondershausen, einer Residenzstadt in Thüringen, erscheint zunächst nicht allzu verlockend. Und doch sagt Bruch zu, denn, wie er an Brahms schreibt: "Die Fürstliche Kapelle ist sehr gut, eins der hübschesten Orchester Deutschlands". Voller Enthusiasmus arbeitet Bruch an seiner ersten Sinfonie und hebt sie im Juli 1868 in Sondershausen aus der Taufe. Er widmet sie seinem Mitstreiter für das Bleibende: Johannes Brahms.
Vieles erinnert im Ton an Mendelssohn, besonders der zweite Satz. Der vierte Satz geht nahtlos aus dem dritten hervor, ähnlich wie in einer von Bruchs Lieblingssinfonien, der Vierten von Schumann. Wohlklingend ist diese erste Sinfonie, auch tröstlich – in ihrem unverbrüchlichen Glauben an das Schöne, Gute.