Im August 1878 überraschte Brahms den berühmten Geiger Joseph Joachim mit dem Übersenden der Violinstimme seines in Entstehung begriffenen Violinkonzerts. Zu dieser Zeit plante er für dieses Konzert noch vier Sätze und bat den kundigen Joachim um Korrekturen der Solostimme.
Eifrig machte sich Joseph Joachim an die Arbeit und übersandte Vorschläge, die Brahms zum Ausmerzen unbequemer geigerischer Stellen bewegen sollten. Brahms ignorierte diese jedoch weitgehend. Lange galt Brahms’ Violinkonzert wegen seiner enormen technischen Anforderungen als unspielbar, es kursierte das Bonmot vom "Konzert gegen die Geige". Doch nach der erfolgreichen Uraufführung am Neujahrstag 1879 etablierte sich das Werk bald. Joseph Joachim, der den Solopart übernahm, stellte das Werk anschließend auch im Ausland vor.
Das Violinkonzert op. 77 entstand im sonnigen Kärnten in Pörtschach am Wörthersee. Brahms schrieb an einen Freund: "Wenn du unterwegs von der Lectüre aufgeblickt hast, so weisst du, wie rund um den blauen See alle Berge schneeweiß sind und die Bäume zartgrün." Die Sommeraufenthalte der Jahre 1877 bis 1879 in Österreich regten seine Schaffenskraft stark an.
Verzicht auf jegliche Virtuosität als Selbstzweck
Vielleicht klingen das Solokonzert und die im Jahr zuvor komponierte 2. Sinfonie deshalb so gelöst und heiter. In einem Brief an Clara Schumann bekannte Brahms, dass er für das Violinkonzert des Mozart-Zeitgenossen Giovanni Battista Viotti eine "ganz besondere Schwärmerei" hegte. Zweifelsohne ist aber Brahms’ großes Vorbild das Violinkonzert von Beethoven. Vor allem im ersten Satz mit seiner ungewöhnlich langen Einleitung, der berührenden Melodik seines ersten und sehnsuchtsvollen Kantabilität des zweiten Themas wird die Verwandtschaft offenbar. Dazu wird ein drittes Thema vorgestellt, das in seiner stark akzentuierten Anlage (Doppelgriffe in der Violine, Staccato) im denkbar größten Kontrast zur lyrischen Grundstimmung des Satzes steht. Ähnlich wie bei seinen Klavierkonzerten dominiert auch im Violinkonzert das sinfonische Prinzip, mit dem Brahms im Beethoven’schen Sinn die Entwicklung dieser Gattung auf seine eigene Weise fortsetzte. Dies bedeutet auch, dass Brahms bei allen technischen Hürden des Soloparts auf Virtuosität als Selbstzweck verzichtet. Vielmehr wertet der Komponist die Rolle des Orchesters im Sinne des ursprünglichen Miteinander-Musizierens ("Concertare") von Solist*in und Begleitung stark auf.
Eine schlichte Oboen-Melodie eröffnet das Adagio, in dem die Violine arabeskenhaft in immer neuen Abwandlungen das thematische Geschehen umspielt. Nur in dem kurzen Mittelteil schlägt das Soloinstrument leidenschaftlichere Töne an. Gleich zu Beginn des Schlusssatzes stellt die Solovioline das ungarisch geprägte Hauptthema vor. Sein tänzerischer Atem verleiht dem Rondo-Finale Vitalität und Lebensfreude.