Hector Berlioz - "Symphonie fantastique op. 14" Episoden aus dem Leben eines Künstlers WDR Sinfonieorchester Video 05.01.2022 54:22 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 WDR 3

Werkeinführung: Hector Berlioz - Symphonie fantastique op. 14

Von Otto Hagedorn

Hector Berlioz | Bildquelle: wdr

Alles begann mit Berlioz’ Schulbildung. Nur kurze Zeit besuchte er eine Regelschule; sein Vater zog es vor, ihn selbst zu unterrichten und engagierte gelegentlich Privatlehrer. Berlioz selbst empfand diese Art der Ausbildung später als ein Manko, da sie ihn "von den Realitäten des Lebens" abgeschirmt habe. Dass ihm schulischer Drill und das Einzwängen in enge Verhaltensschablonen erspart blieben, ist für die Musikwelt hingegen ein seltener Glücksfall. Nur dadurch war es Berlioz möglich, sich über kompositorische Tradierungen und Konventionen hinwegzusetzen. So stieß er mit der "Symphonie fantastique" die Tür weit auf – für die Imaginationswelten der musikalischen Romantik.

Aus der Komposition spricht, wie sehr Berlioz ästhetisch kompromisslos und künstlerisch selbstgewiss war. Das Unbeirrbare, das der erst 26-Jährige in den Klängen und der formalen Gestaltung walten lässt, traf das Publikum bei der Uraufführung im Dezember 1830 wie der Blitz: Faszination und helle Begeisterung hier, Irritation und blankes Entsetzen dort. Auch die Reaktionen der Fachwelt hätten kontroverser nicht ausfallen können: Die einen verdächtigten Berlioz des Wahnsinns, die anderen ernannten ihn zur ungekrönten Ikone der musikalischen Neuzeit. Regelrecht berauscht zeigt sich Franz Liszt, zu dieser Zeit erst 19 Jahre alt: Er wühlt sich mit Verve in die neuartigen Tonfluten und erstellt in kürzester Zeit eine Klaviertranskription.

Was aber ist so neu, so aufwühlend an der "Symphonie fantastique"? Das Auffallendste ist die neue Klanglichkeit: Die Farbmischungen, die Berlioz dem Orchester entlockt, haben etwas Magisches. Und das erreicht er durch schiere Könnerschaft – was auch seinen schärfsten Kritikern Respekt abverlangt. Berlioz teilt die Streicher etwa mehrfach, das heißt: Nicht alle Instrumente einer Stimmgruppe (zum Beispiel die ersten Violinen oder die Violoncelli) spielen stets das Gleiche, sondern teilweise unterschiedliche Stimmverläufe. Das fächert den Klang in vorher nicht gekannter Weise auf. Dann ist da die Harmonik. Gewohnte Verläufe, um von einer Tonart in die andere zu gelangen, wirft Berlioz teils mit Wahnwitz über Bord.

Das rein äußerlich Neuartige an der "Symphonie fantastique" ist, dass Berlioz ihr – das allererste Mal in der Musikgeschichte! – ein ausführliches Programm zugrunde gelegt hat. Die Klangentwicklungen sind hier also nicht "nur" Musik an sich, sondern sie illustrieren ganz konkrete Inhalte. Die Grundkonstellation: Berlioz hatte sich in die irische Schauspielerin Harriet Smithson verliebt, die seine Avancen allerdings verschmähte. Daraus entwickelte er die klingende "Episode aus dem Leben eines Künstlers", die er auch als "drame musical" bezeichnete. Analog zum klassischen Drama mit seinen fünf Akten erzählt Berlioz diese tragische Liebesgeschichte in fünf Sätzen. Vorbild war zudem Beethovens Sinfonie Nr. 6, die "Pastorale", die sich ebenfalls in fünf Sätzen (freilich nur latent) auf außermusikalische Inhalte bezieht.

Der erste Satz der "Symphonie fantastique" schildert die verschiedenen Verliebtheitsstadien eines jungen Musikers gegenüber der für ihn idealtypischen Frau. Musikalisch wird sie durch ein Motiv verkörpert – von Berlioz "idée fixe" genannt –, das in allen Sätzen in den unterschiedlichsten Stimmungen und Schattierungen erscheint. Auf dem Ball des zweiten Satzes sieht der Verliebte die Angebetete wieder, die ihn aber nicht beachtet. In der "Szene auf dem Lande" erklingt der Dialog zweier Hirten, als der Verliebte von Zweifel erfasst wird, wiedergeliebt zu werden. Anschließend singt nur noch ein Hirte seine Weise. Der "Gang zum Richtplatz" schildert den Traum des Musikers, er habe die Erwählte ermordet, sei zum Tode verurteilt und werde zum Richtplatz geführt. Im "Traum einer Sabbatnacht" schließlich erscheint die ehemals Geliebte als Hexe. Die verzerrte "idée fixe" kontrastiert mit der Melodie des "Dies irae", des Jüngsten Gerichts aus der katholischen Totenmesse.

Harriet Smithson, die reale Umworbene, hörte das Werk erstmals zwei Jahre nach der Uraufführung. Fasziniert und tief berührt erklärte sie sich bereit, Berlioz’ Bekanntschaft zu machen. Im Jahr darauf heirateten sie. – Eine Wendung wie aus den Traumwelten der "Symphonie fantastique".

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