Präzision mit Seele - 100 Jahre Kurt Edelhagen

Jazzline 05.06.2020 59:20 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 WDR

Der Mann war bereits vor Jahrzehnten das, was es seinerzeit als Berufsbild noch gar nicht gab: ein richtiger Popstar. Weil er ein Genre populär machte, das man im Nachkriegsdeutschland noch nicht kannte. Kurt Edelhagen, Jahrgang 1920, etablierte den Big-Band-Sound in der jungen Bundesrepublik. Dabei orientierte sich der gebürtige Westfale an den Klangstrukturen, die in den USA bereits in den 1940er Jahren euphorisch gefeiert wurden. Kurz nach Kriegsende gründete Kurt Edelhagen in Herne seine erste Big Band. Fasziniert von dem Sound, den zum Beispiel Duke Ellington und Dizzy Gillespie im Kollektiv mit zahlreichen Musikern auf die Bühne brachten, etablierte sich Kurt Edelhagen zu einem Wegbereiter des Jazz in Deutschland.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Kurt Edelhagen vor allem für Auftritte vor in Deutschland stationierten US-Streitkräften engagiert. Mehr und mehr kreierte er seinen eigenen Sound und schuf durch intensive Probenarbeit mit häufig wechselnden Musikern einen Klangkörper, der aus dem Gros der zahlreichen Club-Bands herausragte. Von der amerikanischen Fachpresse enthusiastisch als „best Band of the European Command“ gepriesen, repräsentierte Kurt Edelhagen 1954 den deutschen Jazz beim „Salon du Jazz“ in Paris, dem wichtigsten europäischen Jazz-Festival jener Tage. Ende der 1950er Jahre stellte Edelhagen im Auftrag des WDR eine international besetzte Big Band unter eigenem Namen zusammen. Das Ensemble hatte keine Verpflichtung, Unterhaltungsmusik aufzuführen, es sollte sich auf Jazz fokussieren – was damals ein Novum war und auch für heutige Verhältnisse eine große Ausnahme ist. Auf seinem kreativen Lebensweg begegnete Kurt Edelhagen zahlreichen internationalen Jazz-Größen – unter anderem Charlie Parker, Miles Davis, Chet Baker, Thelonious Monk und Lionel Hampton. Auch Künstler*innen aus anderen Genres, etwa Peter Alexander, Hildegard Knef, Paul Kuhn und Caterina Valente, begleitete Kurt Edelhagen mit seiner Big Band auf diversen Tourneen. Der Arrangeur, der auch als musikalischer Leiter der Olympischen Sommerspiele 1972 in München große Beachtung erlangte, starb 1982 im Alter von 61 Jahren in Köln. Zeit seines Lebens gelang es Kurt Edelhagen, die Musik und das Wirken seiner Ensembles in der deutschen Rundfunklandschaft präsent zu halten. Die WDR Big Band, eine Nachfolgerin der Edelhagen Big Band im WDR, feiert Edelhagens 100. Geburtstag – der am 5. Juni 2020 ist – mit einer Studioproduktion. Unter der Leitung des Komponisten und Arrangeurs Florian Ross nimmt die Band Original-Arrangements von Edelhagen auf. Als Kontrapunkt zu diesem Ansatz hat Florian Ross Edelhagen-Originale neu arrangiert. Der ehemalige erste Altsaxofonist der WDR Big Band, Heiner Wiberny, kann Edelhagen zu seinen Mentoren zählen. Wiberny war von 1981 bis 2009 prägendes Mitglied der Grammy-Preis-gekrönten WDR Big Band und erzählt in einem Interview, in welcher kuriosen Situation er Edelhagen kennenlernte und wie er durch ihn Kontakte zu der jungen deutschen Jazzszene knüpfen konnte. Heiner Wiberny besucht seine alte Wirkungsstätte, das Studio 4 im Funkhaus am Wallrafplatz, und ist als Gastsolist mit „seiner“ WDR Big Band zu hören.