Chris Hensgens auf einem Feld seines landwirtschaftlichen Betriebs im Selfkant

Als Landwirte in zwei Ländern: Über Probleme und Chancen

Landkreis Heinsberg | Landwirtschaft

Stand: 07.07.2024, 09:11 Uhr

Zwei Landwirte im Selfkant, einer Gemeinde an der Grenze zur Niederlande, führen sozusagen ein internationales Unternehmen. Denn ein Teil ihrer Felder liegt nicht auf deutschem Boden, sondern im Nachbarland. Das bringt Vorteile mit sich - stellt die beiden aber auch vor einige Herausforderungen.

Von Katja Stephan

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Niederländisches "Know-how" im deutschen Erdbeerfeld

Chris Hensgens läuft durch einen der weißen Tunnel, die auf seinem Feld stehen. Der 36-Jährige kontrolliert seine Erdbeerpflanzen, die hier in langen Reihen wachsen. Eine Anbaumethode, die in Deutschland immer beliebter wird. Begleitet wird er von Paul van Elmpt. Der Erdbeerberater kommt in der Erntezeit alle zwei Wochen auf den Betrieb, schaut nach Schädlingen und dem Wachstum der Pflanzen. Gerade untersucht er mit einer kleinen Lupe die weiße Blüte einer Erdbeerpflanze und nickt zufrieden: Keine Schädlinge zu entdecken. Van Elmpt ist Niederländer. In der Gemeinde Selfkant wundert das niemanden.

Der Selfkant und die Niederlande haben eine besondere historische Beziehung zueinander. Unzählige Menschen leben auf der einen Seite der Grenze und arbeiten auf der anderen. Es gibt gewachsene Freundschafts- und Geschäftsbeziehungen. Davon kann Hensgens als Landwirt profitieren. Für ihn und seinen Bruder Arne gibt es auf die Frage nach dem perfekten Standort für ihren Hof deshalb nur eine Antwort.

Warum es für Chris und Arne Hensgens keinen besseren Standort gibt

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Hensgens hat sich bewusst für einen Berater aus dem Nachbarland entschieden. "Sie sind schneller hier, wenn wir Probleme mit den Pflanzen haben. Und es gibt auch viele Niederländer, die sich mit dem Anbau von Erdbeeren und anderem Obst und Gemüse besonders gut auskennen."

Das ist nicht überraschend. 34 Prozent des gesamten Wertes der im Agrarsektor produzieren Waren geht laut niederländischem Statistikamt CBS auf den Gartenbau zurück. Darunter wird unter anderem der Anbau von Zierpflanzen, Obst und Gemüse zusammengefasst. Dabei setzen die Niederländer schon lange nicht mehr nur auf den Anbau im Freiland: 64 Prozent werden in Tunneln oder unter Glas angebaut.

Erdbeerberater van Elmpt erklärt den Grund: "Die Ernte in Tunneln oder unter Glas ist wesentlich einfacher und unabhängig vom Wetter. Die Saisonarbeitskräfte können zügiger und regelmäßiger arbeiten. Das spart Geld, denn die Lohnkosten sind in den Niederlanden rund 20 Prozent höher als in Deutschland."

Warum niederländische Bauern möglichst effektiv anbauen müssen

Hinzu kommt, dass den niederländischen Landwirten und Gartenbauern verhältnismäßig wenig Fläche zur Verfügung steht: Von rund vier Millionen Hektar Fläche werden laut Landwirtschaftsministerium etwa 1,8 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzt. Das entspricht knapp einem Zehntel der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland und etwas mehr als der Hälfte der NRW-Nutzfläche. Die liegt laut Statistikamt bei etwa 3,4 Millionen Hektar.

Niederländische Landwirte sind deswegen gezwungen, möglichst effektiv anzubauen. "Wir versuchen zum Beispiel, die Reihenabstände zu verringern. Das gelingt im Tunnel recht gut", erklärt van Elmpt. "Die Niederländer sind uns bei den Anbaumethoden sechs bis sieben Jahre voraus. Davon können wir hier, als direkte Nachbarn, profitieren", ergänzt Hensgens.

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Regionalität endet an der Grenze

Stunden bevor Chris Hensgens durch die Erdbeerplantage läuft, steht sein Bruder Arne Hensgens mit Klemmbrett und Stift am Morgen mitten in einer großen, hell erleuchteten Lagerhalle. Leuchtend rote Erdbeeren in blauen Klappboxen stapeln sich auf Euro-Paletten. Ein Mitarbeiter packt zwei Boxen und lädt sie in einen der weißen Transporter, die bereitstehen.

Es ist 6 Uhr morgens. In einer halben Stunde werden die Transporter, voll beladen mit Spargel und Erdbeeren, zu den Verkaufsständen in der Region fahren. Rund eine Tonne Spargel und anderthalb Tonnen Erdbeeren verkauft der 28-Jährige im Schnitt jeden Tag. Allerdings nur auf deutscher Seite.

Wechselvolle Geschichte im westlichsten Zipfel Deutschlands

Chris und Arne Hensgens bewirtschaften den Betrieb in der vierten Generation. Von den 250 Hektar liegen rund 60 in den Niederlanden. Das ist in diesem Teil NRWs nicht ungewöhnlich. Denn der Selfkant ragt zum einen wie ein Zipfel in die Niederlande hinein und ist dadurch von drei Seiten vom Nachbarland umgeben. Nach dem zweiten Weltkrieg gehörte die Gemeinde sogar für 14 Jahre zu den Niederlanden. Der Grund waren niederländische Gebietsforderungen als Entschädigung für Kriegsschäden. Seit dem 1. August 1963 gehört der Selfkant wieder offiziell zu Deutschland.

"In den Niederlanden ist es nicht so einfach, einen Verkaufsstand aufzubauen. Es gibt andere Richtlinien und Gesetze und der Verkauf an der Straße ist dort nicht so gängig", erklärt Arne Hensgens. Hinzu kommt: Seine Familie verkauft Erdbeeren und Spargel aus regionalem Anbau. Doch das würde mit den deutschen Erdbeeren in den Niederlanden nicht funktionieren. "Regional bedeutet in diesem Fall niederländisch und nicht deutsch. Auch wenn wir räumlich gesehen sehr nah aneinander sind, ist das Regionale immer auch ein Synonym für das jeweilige Land."

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Kunden und ihre Unterschiede

Im Hofladen der Familie Hensgens ist viel los. Hier gibt es neben Spargel und Erdbeeren auch Eier, Honig und andere Produkte aus der Region. Eine Maschine, die Spargelstangen schält, brummt in einer Ecke vor sich hin.

Rund ein Drittel der Kunden, die hier einkaufen, kommen aus den Niederlanden, erzählt Arne Hensgens. "Deswegen ist es wichtig, dass unsere Verkäuferinnen beide Sprachen sprechen. Obwohl die meisten Niederländer sehr gut Deutsch sprechen." Früher, als es noch zwei Währungen gab, sei es kompliziert gewesen. "Da hatten wir zwei Kassen, für D-Mark und Gulden." Einen kleinen Unterschied zwischen den Kunden beider Länder gibt es allerdings, erklärt der 28-Jährige nach einigem Überlegen.

Arne Hensgens über die Unterschiede zwischen deutschen und niederländischen Kunden

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Herausforderungen im Grenzland

Die Lage im Grenzland kann aber auch Nachteile haben. Heute müssen die Zwiebeln gespritzt werden; die auf beiden Seiten der Grenze wachsen. Chris Hensgens füllt eine braune Flüssigkeit in den Tank der Pflanzenschutzspritze. Das Mittel zur Unkraut- und Schädlingsbekämpfung darf er allerdings nur in Deutschland verwenden.

"In der Praxis heißt das, wir spritzen erst auf deutscher Seite, fahren zurück zum Hof und befüllen die Spritze neu, damit wir anschließend auf unser Feld in den Niederlanden fahren können." Das kostet Zeit und Geld. Und das, obwohl der Wirkstoff in beiden Mitteln der gleiche ist, erklärt Hensgens: "Trotzdem müssen wir jedes Mittel im jeweiligen Land kaufen und es muss den richtigen Namen und ein entsprechendes deutsches oder niederländisches Etikett tragen. Das ist verrückt."

Bei einer Kontrolle muss Hensgens die entsprechenden Kaufbelege vorlegen. Sonst kann es teuer werden. Große Unterschiede im Pflanzenschutz gebe es aber nicht: "Beide Länder müssen sich an die EU-Regeln halten. Das ist das Minimum. Darüber hinaus kann jedes Land eigene, strengere Regeln vorschreiben. Und das kann sich von Jahr zu Jahr ändern." Weil sie Felder in zwei unterschiedlichen Ländern haben, müssen die Brüder für beide auch separat die benötigte Menge an Gülle berechnen und sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden Steuern zahlen.

Trotz aller Herausforderungen: Die beiden Brüder versuchen, gelassen mit ihrer Situation umzugehen. Schließlich kennen sie die Probleme seit Jahren. Ein Standortwechsel kam für sie trotzdem nie in Frage.