Autonomer Schlepper fährt über einen Acker

Wie Roboter und KI die Landwirtschaft auf links drehen

NRW | Landwirtschaft

Stand: 01.07.2024, 10:30 Uhr

Die Landwirtschaft steht vor vielen Herausforderungen: Klimakrise, Umgang mit Massentierhaltung und Pestiziden, Artenrückgang und Bodenverdichtung. Immer häufiger setzen Bauern deswegen auf digitale und intelligente Systeme und Roboter. Was können die überhaupt?

Von Julia Arns und Josefine Upel

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Feld- statt Mars-Mission

"Wahnsinn! Ein Mondfahrzeug", sagt Johannes Miermann, als ein Traktor mit besonderer Ladung auf seinen Hof in Bottrop-Kirchhellen fährt. Auf der Ladefläche: Ein autonomer Schlepper. Ohne Kabine und mit Kettenrädern sieht der Roboter mehr nach Mars-Mission als Feld-Mission aus. Miermann überlegt, so einen Roboter für den Hof anzuschaffen. Dazu testet er das Raupenfahrzeug bei der Bodenbearbeitung für den anstehenden Kartoffelanbau. Der Roboter fährt selbstständig und soll den Landwirt auf dem Feld ersetzen können. Angetrieben mit einem 156-PS-starken Dieselmotor. Gesteuert durch GPS, Kameras und Sensoren. Mindestens 20 Stunden ohne Unterbrechung auf dem Feld unterwegs. Das kostet allerdings auch schlappe 300 Tausend Euro. Ob das Raupenfahrzeug Miermann überzeugen kann, zeigt die neue YouTube-Folge von Land.Schafft.!

Einsatz von Agrarrobotik

Landwirtschaft 4.0: Roboter übernehmen seit einigen Jahren zunehmend Aufgaben auf dem Feld und revolutionieren so die Landwirtschaft. Sie können rund um die Uhr arbeiten und erledigen Aufgaben wie Aussaat, Düngung und Ernte mit beeindruckender Genauigkeit.

Auch Landwirtin Marie Hoffmann experimentiert mit einem Roboter. Sie steht auf dem Acker und beobachtet, wie der Feldroboter im Lippetal über die Erde rollt und Raps sät. Wenn der Roboter reibungslos läuft, soll er Pflanzenschutzmittel und Arbeitskräfte einsparen. "Als solarbetriebene Fahreinheit übernimmt der Farmdroid die Pflanzarbeit vollkommen autonom. Nicht nur das, der Roboter markiert auch die jeweiligen Pflanzenpositionen. Auf diese Weise soll er später jede einzelne Pflanze mit so wenig Pflanzenschutz wie möglich besprühen", erklärt die Landwirtin, die auch als Host auf YouTube für das Format Land.Schafft der WDR Lokalzeit vor der Kamera steht.

Landwirtin und Agrar-Influencerin Marie Hoffmann zeigt den Farmdroiden

Testet den Farmdroid: Landwirtin Marie Hoffmann

Trotz ihrer Fähigkeiten auf dem Papier werden Roboter auf dem Feld bislang vergleichsweise wenig eingesetzt. Unter anderem liegt das an den meist hohen Anschaffungskosten. So kostet der Roboter, der im Lippetal seine Bahnen zieht, rund 90.000 Euro. "Für kleine bis mittlere konventionelle Betriebe lohnt das nicht", meint Hoffmann.

Außerdem kritisiert Hoffmann die für den Einsatz zuvor sehr aufwendige Bodenbearbeitung, die viele Mikroorganismen zerstört hat. Ein Problem, das auch Forscher beim Einsatz von Robotern auf dem Acker im Hinblick auf Biodiversität und Nachhaltigkeit sehen. Hinzu kommen nötige Schulungen und technische Probleme.

Die perfekte Erdbeere aus Witten

Regionalität spielt bei Verbrauchern eine immer wichtigere Rolle bei Kaufentscheidungen. Doch gerade Obst, das auf höhere Temperaturen angewiesen ist, legt mitunter mehrere tausend Kilometer zurück, bevor es bei uns in den Supermarkt-Regalen landet. Inzwischen gibt es innovative Ansätze, die genau da ansetzen.

Auf der Erdbeerfarm des Start-Ups vGreens in Witten zum Beispiel ist ewiger Sommer. Rote und saftige Erdbeeren wachsen das ganze Jahr über in der Industriehalle, vollkommen ohne Sonnenstrahlen. Eine Software regelt die Umweltbedingungen mithilfe von künstlicher Intelligenz. So werden die Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder der CO2-Gehalt automatisch gesteuert. "Wir haben hier ein Fünf-Sterne-Hotel für Erdbeeren entwickelt, um ganzjährig die perfekte Erdbeere zu erzeugen", erklärt Stefan Hey.

Recht und links wachen in Regalen Erdbeerpflanzen. Im Gang stehen zwei Menschen in weißen Overalls.

vGreens in Witten: Keine klassische Erdbeerfarm

"Vertical Farming" nennt sich diese Methode. Die Erdbeer-Setzlinge brauchen keine Erde, keinen Dünger, keinen Regen - alles, was sie brauchen, bekommen sie über eine Nährstofflösung. Außerdem brauchen sie eine ganze Menge Licht, was einen hohen Energieverbrauch mit sich bringt. Mehrere Dutzend Hummeln übernehmen das Bestäuben der jungen Pflanzen. Roboter untersuchen den Wachstumsprozess der Erdbeeren und ernten die reifen Früchte zum optimalen Zeitpunkt. Dem Geschmack tue diese Anbaumethode keinen Abbruch, sagen die Entwickler.

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Roboter im Stall

Im Stall sind automatisierte Systeme bereits seit Jahren weit verbreitet. So wird zum Beispiel die Sauerlandmilch GbR in Brilon-Rösenbeck mit 250 Kühen von Robotern unterstützt. Nur drei Menschen arbeiten auf dem Hof. Ansonsten übernehmen Melk-, Fütterungs- und Einstreuroboter sowie Gülle-Schieber die Arbeit. Die Roboter sind kompakt, wendig und 24 Stunden im Einsatz: Sie melken, füttern, machen sauber und streuen ein. "Uns war wichtig, den Kühen so möglichst viel Zeit zum Liegen und Fressen zu geben. Außerdem können wir uns jetzt individuell um die Tiere kümmern", erklärt Johannes Schütte, einer der Inhaber. Dabei verzeichnen die Daten der Systeme deutlich weniger Tierverluste und Entzündungen der Milchdrüse, sogenannte Mastitiden, sowie eine Steigerung der Milchproduktivität. Für den Betrieb hat sich der Einsatz der Roboter gelohnt.

Ein Handy zeigt die Überwachungswerte einer Kuh im Kuhstall

Eine Kuh, viele Daten: Der Landwirt bekommt alles auf sein Handy

Technologie im Tier

Die Kühe auf dem Familienbetrieb von Markus Baumann in Geldern haben es in sich - im wahrsten Sinne des Wortes. Jede der rund 130 Milchkühe auf dem Hof im Kreis Kleve hat einen sogenannten Bolus im Magen liegen und das bis zum Ende ihres Lebens. Die Technologie sieht aus wie ein kleiner, weißer Zylinder aus Plastik und ist rund 200 Gramm schwer. Sie erfasst Daten aus dem Inneren der Kuh und schickt sie an das Handy des Landwirts. So kann Baumann checken, ob es dem Tier gut geht, es genug frisst oder läuft. Laut Hersteller ist der Bolus für die Kühe ungefährlich und beeinträchtigt sie nicht. 

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Maschine statt Saisonarbeiter bei der Spargelernte

7,60 Meter lang und dreieinhalb Tonnen schwer - so rollt das Raupenfahrzeug zum Spargelernten in Niederkrüchten über die Felder. Vorne befinden sich zwei rotierende Messer. Sie durchschneiden den länglich angehäuften Erdhügel, den sogenannten Damm, auf einer vorgeingestellten Länge. Auch die Spargelstangen, die sich in der Erde befinden, werden auf dieser Länge mit abgeschnitten. Automatisch werden der Spargel und die abgetragene Erde zu einem Siebtisch transportiert. Dort wird die Erde ausgesiebt, Arbeiter sortieren den übrigen Spargel in Kisten. Gleichzeitig formt der Spargelvollernter einen neuen Damm aus Erde hinter sich.

Für seinen Spargelvollernter hat Landwirt Markus Mevissen ordentlich investiert. 140.000 Euro kostet die Maschine. Zuerst war er skeptisch. "Mein Vater war immer überzeugt: Die Maschine, das ist die Zukunft", erinnert sich der Landwirt. "Aber ich habe gesagt: Nein, Spargel muss per Hand geerntet werden." Doch vor vier Jahren hatte Mevissen keine Wahl mehr. Die Saisonarbeiter, die auf seinen Feldern sonst den Spargel geerntet haben, durften wegen der Corona-Pandemie nicht einreisen. Es musste eine neue Lösung her.

Früher stochen 30 Mitarbeiter den Spargel auf dem Feld. Auf dem Vollernter sitzen heute bis zu vier Erntehelfer. Die meisten seiner 18 Angestellen sind gar nicht auf dem Acker, sie sortieren den gestochenen Spargel auf dem Hof. Der maschinelle Ernter kann im Gegensatz zum Menschen natürlich nicht unterscheiden, ob einzelne Spargelstangen eigentlich noch wachsen müssten. Er schneidet alle Stangen auf der voreingestellten Länge ab. Ertragseinbußen, die laut Mevissen durch die bessere Qualität des Spargels wettgemacht werden würden. Die steige durch den gerade geformten Damm um rund 20 Prozent.

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Mit der Drohne auf den Acker

Vier Rotoren, 2,80 Meter Spannweite, 26 Kilogramm Leergewicht und 17.000 Euro Anschaffungskosten. Nicht ganz so groß also wie der Spargelvollernter, aber der muss ja auch nicht fliegen. Das sind die Eckdaten der XXL-Agrardrohne von Christian Baumeister aus Heiden. Er hat von der Schweinehaltung auf einen Drohnen-Dienstleistungbetrieb umgestellt. Die Drohne kann Flüssigkeiten, wie Biostimulanzien, aber auch Saatgut auf die Felder ausbringen.

Die Drohne kommt auch da hin, wo es für Traktoren vielleicht zu nass ist und ist dabei komplett unabhängig von Spurweiten oder Fahrgassen. Die Flugroute wird digital vorgegeben. 60 bis 70 Hektar schafft die Drohne laut Baumeister bei der Aussat. Die Drohne soll dabei auch noch günstiger als die herkömmliche Aussaat am Boden sein.

"Man hat da Wahnsinnssprünge in der Entwicklung. Es wäre ganz wichtig, dass man größere Drohnen, mit 60, 70, 100 Kilo Nutzlast fliegen kann, dann kann man auch wirklich mit dem Schlepper konkurrieren", blickt Baumeister in die Zukunft. Beschweren kann er sich bisher nicht. Seine Auftragsbücher sind voll - und die Arbeitszeiten sind entspannter, als bei der Sauenhaltung.

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Mit KI zum Unkraut-Killer: Mehr Effizienz bei Pflanzenschutzmittel

Damit das, was so eine Drohne aussäht auch vernünftig wächst, geht in vielen Betrieben kein Weg an Pflanzenschutzmitteln vorbei. Wie können dabei die Folgen für die Umwelt möglichst gering gehalten werden? Auch dafür hat die Forschung zumindest eine Teillösung.

Einen bis zu 95 Prozent geringeren Verbrauch von Pflanzenschutzmittel verspricht der Hersteller des sogenannten "Spot Sprayers". Auf dem Gemüsehof von Bernd Brun im Kreis Borken kommt er schon zum Einsatz. Rund 130.000 Euro hat die Anschaffung der KI-gesteurten Spritze gekostet. Eine Software an Bord wertet die Bilder der hochauflösenden Kameras danach aus, ob es sich um das gewollte Gemüse oder um Unkraut handelt. Auf dieser Grundlage wird ein Signal an die entsprechenden Düsen übermittelt, die dann punktgenau sprühen können. Und das jeweils in wenigen Millisekunden.

Das soll dafür sorgen, dass nur dort gespritzt wird, wo es nötig ist. Die Spritze arbeitet auf sechs Metern Breite, fährt 7,5 Stundenkilometer. Damit kann Bruns etwa drei bis vier Hektar pro Stunde bearbeiten. Ein weiterer Vorteil: Die Spritze befindet sich windgeschützt in einem geschlossenen Gehäuse.

Bernd Brun steht auf einem Feld vor seiner Präzisionsfeldspritze.

Mit der Präzisionsfeldspritze will Bernd Brun Umwelt und Geldbeutel weniger belasten

Zum Vergleich: Bruns herkömmliche Spritze ist 33 Meter breit, fährt 10 bis 12 Kilometer pro Stunde. Der Nachteil: Es wird die komplette Fläche gespritzt, nicht nur einzelne Stellen nach Bedarf. Bei zu starkem Wind kann sie nicht verwendet werden.

Mitarbeiter Darius Brand ist sich sicher: Der Boden muss weiterhin zunächst mit einer normalen Spritze versiegelt werden. Allein die Präzisionsfeldspritze kann der Menge an Unkraut nicht Herr werden. Doch sie muss im Nachgang nur noch rund 5,5 Prozent der Fläche behandeln, ermittelt Landwirt Bernd Brun. Sein Fazit: "Gut fürs Portemonnaie und gut für die Umwelt."

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Ein Blick in die Glaskugel

In den unterschiedlichsten Bereichen können Roboter und KI bereits heute und in der Zukunft noch mehr zeitintensive, mühsame oder komplexe Aufgaben übernehmen. Durch die intensivere Überwachung von Tieren sollen zum Beispiel Stress und Gesundheitsprobleme leichter und schneller erkennbar werden.

Auf dem Acker kann eine KI mittels Drohnenbildern erkennen, welche Bereiche eines Feldes Wasser, Dünger oder Pflanzenschutzmittel brauchen oder wo Unkraut und Schädlinge sind. Ein Roboter bewässert, düngt, hackt Unkraut, bringt Pflanzenschutzmittel aus oder erntet dann je nach Anforderung. So werden Felder ressourcen- und kosteneffizienter bewirtschaftet.

Bei der Qualitätskontrolle kann ein Roboter Obst und Gemüse scannen und Druck- oder Faulstellen ausfindig machen. Egal in welchen Bereichen, Robotik und künstliche Intelligenz werden immer bedeutender in der Landwirtschaft.