Manchmal lohnt es sich eben doch, in verstaubte Archive hinabzusteigen - zumal wenn es die eines Plattenlabels sind. Genau dort wurde der Jürgens-Song nämlich bei Arbeiten entdeckt und wird heute mit fast 40 Jahren Verspätung veröffentlicht. Ursprünglich war der Song 1985 für das Album "Treibjagd" geplant.
Letztlich passte er nicht ins Konzept und verschwand im Archiv. Nun hat der Schlagzeuger und Produzent Curt Cress Jürgens' Gesang aus dem Demoband extrahiert und mit einer nachdenklichen Klavierstimme versehen.
Cress glaubt, dass der Song Jürgens "sehr gut" gefallen würde
Die technische Umsetzung sei nicht ganz einfach gewesen, weil es nur einen "Zweispurtrack, eine fertige Mischung" gegeben hätte. Aber Cress ist mit dem Ergebnis zufrieden und glaubt, dass der Song Udo Jürgens "sehr gut" gefallen würde: "Ich wäre unglaublich glücklich, wenn er das hören würde."
Am 30. September wäre Udo Jürgens 90 Jahre alt geworden. Der Titel des Songs erinnert daran, dass der Star Ende 2014 in seiner Wahlheimat Schweiz bei einem Spaziergang zusammenbrach und kurz darauf starb. "Wir waren innerlich immer auf der Suche und haben gehofft, noch etwas zu finden, was Udo geschrieben hat", sagte Udo Jürgens' Tochter Jenny Jürgens.
Text aus der Feder von Michael Kunze - wie "Griechischer Wein"
Der wiederentdeckte Song erzählt von einem wehmütigen Abschied. Der Text stammt aus der Feder von Michael Kunze, der auch die Worte zu Jürgens-Hits wie "Griechischer Wein" und "Ich war noch niemals in New York" beigesteuert hatte.
Song-Veröffentlichungen nach dem Tod eines Künstlers sind keine Seltenheit. Vom Queen-Sänger Freddy Mercury wurde 2019 mehr als 30 Jahre nach seiner Entstehung der Song "Time Waits for No One" veröffentlicht.
Von Johnny Cash (2003 gestorben) und Prince (2016 gestorben) wurden nach ihrem Tod etliche Songs hervorgezaubert. Was den musikalischen Nachlass des "King of Pop" Michael Jackson betrifft, sind nach seinem Tod 2009 mehrere unveröffentlichte Lieder und Alben erschienen.
Mit Künstlern, die bereits zu Lebzeiten große Stars waren, lässt sich auch nach ihrem Tod viel Geld verdienen. Professor Christoph Jacke, an der Universität Paderborn verantwortlich für die Studiengänge "Populäre Musik und Medien" sowie stellvertretender geschäftsführender Direktor des Forschungszentrums "C:POP", sieht da "sicherlich rechtliche Neuordnungen auf uns zukommen", aber aktuelle prominente Fälle seien meistens rechtlich geklärt: "Weil sie ja in Absprache mit den Rechteinhabenden und -verwaltenden erfolgen."
Ähnliches gelte für die moralische Frage - und es gäbe Fans, die posthume Veröffentlichungen durchaus kritisch sehen: "Wenn zum Beispiel - wie im Fall Udo Jürgens oder zuletzt auch der Beatles - Bandmitglieder, Familie oder enge Freunde das mitorganisieren, dann scheint das halbwegs abgesichert", sagt Jacke. Zudem gäbe es auch Wünsche und Bestimmungen der verstorbenen Künstler, "etwas nicht weiter zu betreiben".
Musik-Professor Jacke warnt, dass KI Grenzen überschreiten kann
Heikel kann es werden, wenn Künstliche Intelligenz (KI) in der Musik mitmischt - wie etwa bei den Beatles-Songs "Now And Then" und "As If Nothing Ever Happened", die in diesem und vergangenen Jahr veröffentlicht wurden. Im zweiten KI-Aufschlag hat NDR-Kultur-Redakteur und Beatles-Experte Ocke Bandixen im März ein schönes Lied, aber "keinen Beatles-Song" mehr erkannt.
Professor Jacke ist sich sicher, dass das KI-Rad in der Musik weitergedreht wird. Er sieht den technischen Fortschritt hier grundsätzlich positiv und hofft, dass "Kunst sich in all ihren Ausprägungen einfach der KI annimmt".
Sie könne die Künste durch die Übernahme von Hilfsarbeiten durchaus unterstützen. Problematisch könnten jedoch "komplett neu erfundene Songs" werden: "Das kann dann Grenzen überschreiten", sagt Jacke und verweist etwa auf moralische Umdeutungen von Songtexten mit KI-Hilfe.
"Problematisch wird es immer dann, wenn nicht mehr genauer zugeordnet werden kann, also etwa völlig unklar ist, ob die Musikerin wirklich diesen neuen Song produziert, singt, performt", so Jacke.
Was liegt noch in privaten Archiven herum?
Spannend bleibe vor allem die Frage, was noch alles "in privaten Archiven herumliegt" - und das nicht nur bei Stars wie Prince, Caterina Valente oder Amy Winehouse, sondern auch in Nischen- und Subkulturen: "Da sind Popmusikhistoriker und -historikerinnen gefragt - Stichwort 'popmusikkulturelles Erbe'."
Unsere Quellen:
- WDR-Gespräch mit Produzent und Schlagzeuger Curt Cress
- WDR-Gespräch mit Professor Christoph Jacke von der Universität Paderborn
- Nachrichtenagentur dpa
- Beitrag auf NDR.de vom 1. März 2024 zum neuen Beatles-Song mit KI