Ein Auto, festgefahren im Beton. Vor dem Reifen liegt das, was wir sonst gerne auf der Weide sehen. Oder als Steak auf dem Teller. Luxus-Stern und Schusswaffen, Gewalt und Machogehabe. Das Kalb ist ausgestopft, das Fahrzeug ein sportlicher Buik: Wir sind in den 70er Jahren, bei einem Happening von Wolf Vostell (1932-1998), der die Grenzen zwischen Kunst und Leben immer wieder neu ausgelotet hat.
Durch Kunst Arbeit und Alltag verändern
Diesmal geht es um Rindvieh und Männerarbeit. Und keine spektakuläre Kunstaktion ohne Publikum: Sehen und gesehen werden. Elektronische Überwachung und Selbstdarstellung zugleich. Im Kotflügel steckt ein Schlachtermesser. Ein absurder Zusammenprall. Allerdings: Schlachthöfe und Autohersteller produzieren nach den gleichen Prinzipien. Alles hängt mit allem zusammen: der Sportwagen, der Fernschreiber und die Nachrichten aus aller Welt.
Das Auto deklarierte Vostell zur wahnwitzigsten Skulptur des 20. Jahrhunderts. Sein multimedialer Schlitten "Mit(h)ropa", Abkürzung für "Mitteleuropa", entstand 1974 als Auftragsarbeit für eine der größten europäischen Fleischfabriken im Ruhrgebiet. Vollgestopft mit Fleischerhaken, Gummistiefeln und Metallschürzen zierte der Schlachterwagen die Pausenzone der westfälischen Herta-Werke. Besitzer Karl Ludwig Schweisfurth wollte mit Kunst für die Metzger am Fließband eine menschliche Atmosphäre schaffen - Humanisierung der Arbeitswelt. Die Angestellten fanden das gar nicht komisch und fragten: Was soll's?
Vostells Angebot, durch Kunst mehr zu sehen, Arbeit und Alltag zu verändern, funktionierte aber beim Firmenchef selbst: Karl Ludwig Schweisfurth verkaufte seinen Betrieb und wurde zum Pionier für ökologische Fleischproduktion.
"Dieses Jahrhundert ist ja nicht unschuldig und idyllisch", so Vostell, "deshalb kann ich dem Publikum unschuldige und idyllische Motive nicht liefern".
Autorin: Martina Müller