"Der Zuschauer sucht im Kunstwerk reine Naturnachahmung, die praktischen Zwecken dienen kann, Porträt und dergleichen. - Müssen wir nicht auf das Gegenständliche überhaupt verzichten und das rein Abstrakte ganz bloßlegen?" Was Wassily Kandinsky auf dem Weg in die Abstraktion formuliert, ist für die Zeitgenossen ein Affront. Malerei ohne Gegenstand? Publikum und Presse toben, beschimpfen ihn als "Bluffer", "Wahnsinnigen" und "farbenspritzenden Brüllaffen".
An der Schwelle zur Abstraktion
Dabei hat Kandinsky 1911 noch gar nicht richtig losgelegt. Er malt eine Berglandschaft: "Komposition IV", ein Bild an der Schwelle zur Abstraktion, dem er auch den Titel "Schlacht" gibt. Zwei Lanzen, getragen von Kosaken mit roten Mützen, bilden die Mittelachse. Die Kosaken und der Berg sind die Staffage für den Triumph der Farbe. Im Hintergrund lässt sich die Andeutung eines von Doppeltürmen flankierten Kastells erkennen. Ihre Umrisse sind das Ausgangsmaterial für die freie, expressive Bewegung, für die Dramatik sich kreuzender Linien.
Chaos auf der einen Seite, auf der anderen dagegen Ruhe und Ausgewogenheit: Über die Hälfte des Bildes streckt sich ein liegendes Paar. Losgelöst von klassischen Perspektiven, erschafft der Künstler eine neue Farb- und Formenwelt, komponiert in Gegensätzen: Harmonie und Dissonanz. Kaum etwas bleibt dabei dem Zufall überlassen. Seine Werke sind das Ergebnis gleichsam mathematisch durchdachter Konstruktion.
Wegweisendes Programm für die Kunst des 20. Jahrhunderts
Als Mitbegründer der Münchner Künstlerbewegung "Blauer Reiter" publiziert Kandinsky 1911 seine kunsttheoretische Schrift "Über das Geistige in der Kunst". In ihr erarbeitet er die Grundlagen zur Erneuerung der Malerei. Zu Lebzeiten verhöhnt und verspottet und nur von den Malerfreunden anerkannt, entwickelt Wassily Kandinsky für die Kunst des 20. Jahrhunderts ein Programm, dem Generationen von Avantgardekünstlern folgen werden.
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Buchtipps
Wassily Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst.
Insbesondere in der Malerei
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Wassily Kandinsky 1866-1944.
Revolution der Malerei
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Autorin: Martina Müller