Es sind viele, Hunderte, eine ganze Wand voll Porträtfotografien. Alt und jung, Frauen und Männer, Weiße und Schwarze, die alle gleich aufgenommen wurden: Das linke Ohr liegt frei, der Halsansatz ist sichtbar. Neutral und streng blicken sie uns an. Die Bilder erinnern an Fahndungsphotos. Gerade weil die Aufnahmen so ähnlich sind, treten die Eigenheiten des Einzelnen besonders hervor, zeigt sich die Vielfalt in der Menge. Und doch wirken sie weniger als Individuen denn als Gruppe, als kleiner Teil eines großen Ganzen. Was mag die Abgelichteten verbinden?
"Spielerischer Verwechslungsreigen"
Es sind Menschen, die sich im Jahr 2000 im Rahmen eines Kunstprojekts in Dortmund fotografieren ließen. Fast fünftausend haben mitgemacht. Die zweiten Abzüge gingen an das Museum Ostwall, wo sie nun in wechselnden Kombinationen hängen. Den ersten Abzug erhielten die Teilnehmer. Allerdings nicht mit ihrem eigenen Konterfei, sondern mit dem eines Wildfremden.
"Das Geschenk" hat der Künstler Jochen Gerz seine Arbeit genannt. Und spricht von einem "spielerischen Verwechselungsreigen". Je nachdem, wie wir auf die Porträtierten blicken, sehen wir sie als Individuen, als Mitglied einer Gruppe oder als eng miteinander verwobene Teile eines riesigen schwarz-weißen Ornaments. Mit seinem Projekt löst Gerz die Menschen aus ihrer klassischen passiven Rolle des Rezipienten. Hier sind sie Beteiligte eines Kunstwerks, womöglich selber Exponat. Zugleich lockt das "Geschenk" die Bewohner der Stadt immer wieder ins Museum: Sie suchen sich oder andere auf der großen Fotowand und haben auf Dauer das Bild eines Fremden daheim. So komplex und so einfach kann die Kunst wirken - in ihr und unser Leben hinein.
Buchtipp
Jochen Gerz: Die Anthologie der Kunst.
Ausstellungskatalog
DuMont Buchverlag 2004, Preis: 48 Euro
Autorin: Claudia Kuhland