Man möchte eine Kerze anzünden, wie in der Kirche. Michael Buthes (1944-1994) Installation "Die heilige Nacht der Jungfräulichkeit" besteht aus vierzehn Kupfertafeln und einem gigantischen Eier-Leuchter.
Wechselspiele des Lebens
Auf jeder Tafel der Umriss einer lebensgroßen Gestalt, schwebend zwischen Höhenflug und Absturz. In traumhafter Leichtigkeit scheint der Mensch den Sternen ebenso nahe wie der Welt unter Wasser. Es sind Stationen ersehnter, erlittener Erfahrung. Wechselspiele des Lebens, der Gefühle, der Liebe.
Im Leuchtfeuer des Kupfers: das brennende Herz. Die Konturen erinnern an Kreidezeichnungen von Opfern an Tatorten: jede Silhouette eine andere Metamorphose des menschlichen Daseins. Durch zahllose Wiederholungen werden sie zum Ornament - ähnlich der bilderlosen Kunst des Islam.
Wanderer zwischen den Welten
Michael Buthe war ein Wanderer zwischen den Welten, ein Spurensucher in Köln und Marrakesch. Er wollte Orient und Okzident verbinden. Im Kölner Dom zündete der Künstler regelmäßig eine Kerze an, auf Reisen in den Orient und nach Afrika entdeckte er Mystik und Magie. Seine Kunst: ein entgrenzter individueller Kosmos.
Mit erdig düsteren Massen bricht er die spiegelnde Glätte der Kupferfläche. Leuchtende Kaltnadelradierung und geworfene Brocken. Die ornamentale Metallritzung kollidiert mit verbrannten Krusten. Bild, Relief, Skulptur - jede Tafel eröffnet einen neuen Raum für unsere Sinne. "Die heilige Nacht der Jungfräulichkeit", vorgestellt auf der documenta 1992, war Michael Buthes letzte große Arbeit. Er starb 1994 in Bonn.
Buchtipp
Marietta Franke: Der absurde Blick. Künstlerische Entwicklungsfähigkeit, Spiritualität und Abstraktion bei Michael Buthe
Peter Lang Verlag 2010, Preis: 42,95 Euro
Autorin: Martina Müller