Ein Tableau mit zwölf Köpfen - fotografiert, sortiert, gerastert. Besondere Kennzeichen: Hemd, Krawatte. Breites Grinsen und ein finsterer Blick. Eine Verbrecherkartei? Ein Fahndungsplakat? Schaut her, scheinen uns die Bilder zu sagen, so sieht ein Heiliger aus, ein Schwachsinniger, ein Bulle. Die Welt in Schwarz und Weiß, aufgeteilt in Gut und Böse.
Der Mörder lächelt, der Soldat nicht, der Süchtige sehr wohl. Das mag irritieren. Doch an unserem Schubladendenken ändert das nichts. Typen, rubriziert und reproduziert, und schon ist klar: Die kennen wir.
Multiplikation als ironische Hochstapelei
Ein Dutzend Personen meinen wir identifiziert zu haben. Tatsächlich sehen wir nur zwei Aufnahmen von einer Person. Das unverwechselbare Gesicht, die Beweiskraft der Fotografie - all das bricht zusammen. Nichts unterscheidet den Priester vom Beamten, nichts den Artisten vom Anarchisten.
1976/77, auf dem Höhepunkt der Rasterfahndung nach steckbrieflich gesuchten RAF-Terroristen, analysiert Jürgen Klauke das Rollenverständnis einer in Normen erstarrten Gesellschaft. "Das menschliche Antlitz im Spiegel soziologisch-nervöser Prozesse" lautet der programmatisch-kompakte Titel seines Werkes. Als Versuchskaninchen setzt sich der Künstler selbst ins Bild. In standardisierter Pose, kostümiert als namenloser Mustermann, nimmt Jürgen Klauke jede Identität an. Einer für alle. Multiplikation als ironische Hochstapelei. Das Porträt einer Gesellschaft kurz vor dem Lachkrampf.
Fotografien hinter Glas, in dem wir uns widerspiegeln - unser Antlitz im Spiegel soziologisch-nervöser Prozesse. Wer Jürgen Klauke ist, erfahren wir nicht. Der Künstler als Prototyp gesellschaftlicher Phänomene. Ich, das ist bei Jürgen Klauke immer mehr als nur ein anderer.
Autorin: Martina Müller