Folge uns!

Interview: Social-Media-Sprechstunde

Social Media Sprechstunde: Hilfe bei Hass im Netz

Stand: 16.10.2024, 12:07 Von Leon Löffler Glücksfunken

Von Leon Löffler

Kommentieren

Wäre es nicht cool, du hättest einen “Social Media Doktor“? Eine Person, die sich richtig gut mit Sozialen Netzwerken auskennt und mit dir in Ruhe alles bespricht, was dir dort begegnet und dich beschäftigt.

Für die Jugendlichen an der Waldschule Hatten, südlich von Oldenburg, gibt es so eine Person: Thomas Hillers hat dort nämlich die Social Media Sprechstunde erfunden. In der bietet er Unterstützung bei Hass im Netz und vermittelt hilfreiche Medienkompetenz für Schüler:innen


Es gibt Themen, da will man nicht, dass Freunde im gleichen Jahrgang davon wissen oder dass es in der Klasse weitererzählt wird.

kugelzwei: Thomas Hillers, du bist also “Social Media Doktor“?

Thomas Hillers: So würde ich das nicht sagen. Ich bin Lehrer und hatte die Idee, eine Social-Media-Sprechstunde an unserer Schule einzurichten.

kugelzwei: Also eher eine Art Vertrauenslehrer?

Thomas Hillers: Ja, schon eher. Allerdings berate ich nur zu dem, was auf Social Media passiert. Ich bin täglich auf den Plattformen unterwegs und bereite mich auf alle möglichen Fälle vor, die in der Sprechstunde hochkommen können. Wichtig ist, dass die Schüler merken, dass ich nicht irgendein Lehrer bin, der über TikTok sprechen will, sondern dass ich wirklich Ahnung von den Plattforminhalten habe. Das war die große Herausforderung von Anfang an. Zu mir wäre keiner gekommen, wenn sie mir erst Snapchat hätten erklären müssen.

kugelzwei: Warum braucht’s an einer Schule eine Social Media Sprechstunde?

Thomas Hillers: Bisher wurden die Kids komplett alleine gelassen. Wir Erwachsenen haben die digitale Welt erschaffen und die Jugendlichen sind dort unterwegs und werden vielfach Opfer von dem, was sie dort sehen und erleben.

kugelzwei: Und was ist das?

Thomas Hillers: Zum Beispiel Cybergrooming. Schüler oder Schülerinnen werden da auf Social Media von Erwachsenen belästigt, die sich mit Fake-Profilen als Gleichaltrige ausgeben und Nacktbilder wollen. Die Schüler fragen dann in der Sprechstunde, wie sie damit umgehen sollen.


“Das Hauptziel ist: Wenn so eine Situation entsteht, soll sich niemand komplett allein gelassen fühlen.“

kugelzwei: Was kann ich dann machen?

Thomas Hillers: In der Regel sind "Cybergroomer" mit Fakeprofilen unterwegs. Das sind Täter, die das nicht zum ersten Mal machen. Sie gehen in der Regel systematisch vor und schreiben mit mehreren Opfern gleichzeitig. Generell empfehle ich immer, die Kontakte sofort zu blockieren und biete an, dass wir den Kontakt gemeinsam bei der Polizei melden können. Denn bereits das Anfordern von Nacktbildern kann, je nach Alter, schon eine Aufforderung sein, Kinderpornografie zu erstellen und ist eine Straftat.

kugelzwei: Was sind andere Gesprächsanlässe?

Thomas Hillers: Es werden brutale Videos rumgeschickt von Foltermord, Vergewaltigung oder Kinderpornografie. Die Schülerinnen und Schüler bekommen das ungefragt geschickt.

kugelzwei: Das ist schon krass. Wann ist da die Polizei gefragt?

Thomas Hillers: Die Polizei ist ganz klar bei allen Themen Ansprechpartner, sobald wir hier von verfassungsfeindlichen Dingen sprechen oder Kinderpornografie oder von gewaltsamen Videos, die Folter, Mord oder Hinrichtungen zeigen. Da bin ich verpflichtet, das weiterzugeben. Darüber kläre ich die Jugendlichen vorher auf, wenn sie zu mir kommen.

kugelzwei: Und wie kommt die Social Media Sprechstunde bisher an?

Thomas Hillers: Sehr gut. Man merkt einfach, dass hier großer Gesprächsbedarf auf der Schülerseite besteht.

kugelzwei: Aber, wenn mir auf Social Media etwas Komisches begegnet, spreche ich darüber nicht lieber mit meinen Freund:innen oder Eltern als mit einem Lehrer?

Thomas Hillers: Stell dir vor, du kriegst eine Erpressungsnachricht geschickt. Jemand sagt, er hat deine Kamera gehackt und hat gesehen, dass du auf bestimmten Internetseiten warst und will jetzt Geld von dir. Mit wem sollen die Kinder darüber sprechen, wenn sie tatsächlich auf so einer Internetseite waren, von der die Eltern aber nichts wissen dürfen.

Ich kann die Schüler beruhigen: Bei diesen Drohungen handelt es sich meist um “heiße Luft”. Ich kläre Schüler auf, wie diese Erpressermails funktionieren und was sich dahinter verbirgt. Außerdem rate ich: löschen, blockieren und vielleicht beim Appbetreiber melden. Einige Apps haben Funktionen, die betrügerische Aktivitäten melden lassen. In diesem konkreten Fall können wir diese Art von Problem in der Sprechstunde lösen, ohne dass davon jemand etwas mitbekommt.

kugelzwei: Und Freund:innen?

Thomas Hillers: Schüler kommen jetzt nicht zu mir, wenn sie für jemanden schwärmen. Sowas wird im Freundeskreis besprochen. Aber es gibt Themen, da will man nicht, dass Freunde im gleichen Jahrgang davon wissen oder dass es in der Klasse weitererzählt wird. Das Hauptziel ist: Wenn so eine Situation entsteht, soll sich niemand komplett alleingelassen fühlen.

kugelzwei: Schauen Sie sich in der Sprechstunde brutale Videos noch mal an und sprechen darüber?

Thomas Hillers: Auf keinen Fall. Ich will auch nicht, dass die Schüler das noch mal durchleben müssen. Man darf das nicht unterschätzen. Das sind manchmal körperliche Reaktionen, die dann bei Betroffenen auftauchen. Die werden blass, denen ist übel und die können nicht mehr schlafen, nachdem sie solche Videos gesehen haben.

kugelzwei: Und beim Thema Cybermobbing. Wenn in einer Chatgruppe über eine Person gelästert wird, die selbst nicht in der Gruppe ist. Wer kommt dann in die Sprechstunde?

Thomas Hillers: Entweder Betroffene selbst oder oft läuft das auch über Zivilcourage. Dann kommen die anderen Schüler aus der Gruppe in die Sprechstunde und sagen: Hier wird einer gehänselt und gequält. Ich bin in der Gruppe mit drin, aber weiß nicht, wie ich es ansprechen soll. Dafür ist die Sprechstunde ein geschützter Raum, in dem wir alles vertraulich besprechen können. Alle bekommen von mir juristisches Know-how an die Hand und Optionen, die sie ergreifen könnten. Wenn gewünscht, trete ich auch mit Eltern und Schulleitung in Kontakt und berate über weitere rechtliche Schritte. Ich biete zudem an, ein gemeinsames Gespräch mit allen Beteiligten zu führen.

Über Thomas Hillers:

Die Idee zur Social Media Sprechstunde hatte Thomas Hillers, da war er gerade mit seinem Referendariat fertig und seit einer Woche an der Waldschule in Hatten. Dort ist der 35-jährige Lehrer und unterrichtet die Fächer Wirtschaft, Werte und Normen (=Ethik), Digitalkunde, Erd/kunde, Geschichte, Politik und manchmal auch Musik. Er hat eine Zusatzqualifikation im Bereich Medienbildung und ist regelmäßig im Austausch mit Rechtsanwälten, Missbrauchsbeauftragten und der Polizei. Die Waldschule Hatten ist eine staatliche Schule mit Haupt- und Realschulzweig. Alle sind zusammen bis Klasse sieben und danach wird aufgeteilt.

Weiterführende Quellen:

Die Social-Media-Sprechstunde an der Waldschule Hatten (wsh-hatten.de)

Lovestorm statt Shitstorm (wdr.de)

Kommentare zum Thema

Ideen für heute und übermorgen Ideen für heute und übermorgen