In einer idealen Welt gibt es keine Obdachlosigkeit. Aber sie ist Realität. Zum Glück gibt es Menschen, die Wohnungs- und Obdachlosen helfen.

Fast 50.000 Menschen leben Schätzungen zufolge in Deutschland auf der Straße. Oft nehmen wir diese Menschen und ihre individuelle Geschichte nicht richtig wahr. Manchmal werden sie sogar aktiv aus den Innenstädten vertrieben – zum Beispiel mit Stacheln ("Spikes") unter Brücken, sogenannter "Hostile Architecture".

Es gibt aber auch das Gegenteil: Menschen, die Obdachlose und ihre Bedürfnisse mehr in den Mittelpunkt rücken. Wir stellen hier sechs solcher Projekte vor. Einige davon richten sich nicht nur an Obdachlose, sondern auch an Menschen mit eigener Wohnung. Ziel des Ganzen: den direkten Austausch fördern. Denn Verständnis für die Situation von Obdachlosen ist der erste Schritt zu einem besseren Miteinander. 

1. Obdachlose zeigen ihre Stadt bei einer Stadtführung

Wie sehen Obdachlose eine Stadt? Diese etwas andere Perspektive auf das urbane Leben zeigen einige ehemals Obdachlose auf speziellen Führungen. Hier werden nicht die klassischen Sehenswürdigkeiten für Tourist:innen vorgestellt, sondern Orte, die für obdachlose Menschen wichtig sind.

Die ehemalige Obdachlose Melanie, die eine Stadtführung in Bonn leitet.

Dabei zeigen sie auch, mit welchen Problemen und Schwierigkeiten ein Mensch ohne Unterkunft jeden Tag zu kämpfen hat: Wo geht man auf Toilette? Wo kann man günstig sein Hab und Gut einschließen? Wo gibt es Angebote zum Waschen? Wo bekommt man Trinkwasser? Das zeigt zum Beispiel Stadtführerin Melanie in Bonn.

Sie war einst selbst obdachlos und ist nicht die einzige, die solche Touren anbietet. Organisiert werden die Führungen vom Verein "Stadtstreifen", der das Projekt gegründet hat. Ähnliche Führungen gibt es auch in Köln, Dortmund oder Berlin.

2. Kostenloser Haarschnitt für Bedürftige

Die "Barber Angels" tragen Rockerjacken und heißen "Lady Grey", "Papa Bär" oder "Miraculix". Sie sind Friseurinnen und Friseure mit einer Mission: Wohnungs- und Obdachlosen kostenlos die Haare zu schneiden. Also denjenigen, die sich das normalerweise nicht ohne Weiteres leisten können. Als "Barber Angels", also Barbier-Engel, gehen sie in Wohneinrichtungen oder Bahnhofsmissionen.

kugelzwei: Neuer Blick auf Obdachlose

Markt 30.11.2022 09:53 Min. Verfügbar bis 30.11.2023 WDR

Ein Friseur aus Baden-Württemberg hatte 2016 diese Idee. Mittlerweile haben die Barber Angels rund 400 Mitglieder in ganz Europa. Die Friseurinnen und Friseure nutzen ihr Handwerk, um ohne Gegenleistung Gutes zu tun. Während des kostenlosen Haarschnitts entstehen oft Gespräche und Bekanntschaften. Und der Blick in den Spiegel, nachdem Haare und Bart wieder in Form sind, ist jedes Mal ein Erlebnis.

3. Eine Bank für alle statt feindselige Architektur in der Stadt

Sitzbänke in Köln, die im Stil der Hostile Architecture nur zum Sitzen und nicht zum Liegen entworfen wurden.

"Hostile Architecture" – feindselige Architektur: Mit dieser Architektur sollen Menschen aus dem öffentlichen Raum ferngehalten werden. Dazu gehören Bänke mit Stahlbügeln, auf die man sich nur setzen, aber nicht legen kann. Ein anderes Beispiel sind Spikes auf Luftschächten oder unter Brücken. 

Stefano Boeri, Architekt aus Mailand, hat einen Gegenentwurf entwickelt: Eine Bank als Kunstprojekt. Er nennt sie "eine Bank für die, die ein Heim haben, und für die, die keins haben".

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Die von ihm konzipierte Bank lässt sich auch zum Schlafplatz umbauen. Hier darf sich jeder ausruhen, gemütlich und geschützt vor Sonne und Wind. Dem Architekten ist bewusst, dass die Bank nicht die Probleme der Obdachlosigkeit lösen kann. Für ihn ist die Bank ein Denkanstoß, damit wir uns fragen: Wie sollte eine Gesellschaft mit obdachlosen Menschen umgehen?

4. Housing First

Finnland gilt als Vorreiter im erfolgreichen Umgang mit Obdachlosigkeit. Die Obdachlosenzahlen sind hier seit Jahren rückläufig. Unter anderem aufgrund eines konsequenten Wohnprogramms, das sich "Housing First" nennt. Obdachlose bekommen hier bedingungslos eine kleine Wohnung. Die erforderlichen Wohnungen stellt eine Stiftung zur Verfügung oder baut sie neu.

Dieser Ansatz sieht die eigenen vier Wände als wichtigen Baustein für die erfolgreiche Reintegration. Aus dem geschützten Raum heraus können weitere Probleme besser angegangen werden. Hierbei stehen auch Sozialarbeiter:innen zur Unterstützung bereit.

Der Großteil der ehemals Obdach- und Wohnungslosen schafft so den Weg zurück in ein stabiles Leben. Auch in Deutschland werden Housing First-Programme bereits angewandt.

5. Studierende und frühere Obdachlose wohnen in einer WG

Ein Zimmer vom Wohnprojekt VinziRast in Wien, wo ehemalige Wohnungslose mit Studierenden zusammenwohnen.

Im Wiener Sozialprojekt "VinziRast – mittendrin" wohnen junge Studierende zusammen mit ehemals Obdachlosen in Wohngemeinschaften. Gemeinschaftsküchen und Wohnzimmer sorgen für viel Austausch untereinander.

Es gibt Werk- und Veranstaltungsräume, Studierzimmer und einen Dachgarten. Das Projekt hat auch das Ziel, sich selbst und andere besser kennenzulernen und neue Perspektiven zu erhalten.

6. Geschenkte Tiny Houses als Unterkunft und Wohnung

Freiwillige vom Verein Little Home aus Köln, die Tiny Häuser für Wohnungslose in Wiesbaden bauen.

Ein Stück Privatsphäre auf ein paar Quadratmetern ermöglicht der Verein „Little Home“ aus Köln. Freiwillige bauen Mini-Häuschen und verschenken sie an Obdach- und Wohnungslose.

Die „Little Homes“ stehen auf Rädern, sie benötigen deshalb keine Baugenehmigung. Zur Einrichtung der Mini-Häuschen gehören eine Matratze, ein Feuerlöscher und eine Camping-Toilette. Die Little Homes stehen bereits in vielen deutschen Städten, beispielsweise in Köln, Potsdam, Kiel, Wiesbaden oder Nürnberg.

Mehr Informationen zum Thema:

Informationen und Statistiken der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (bagw.de)

Homepage der Barber Angels (b-a-b.club)

Stadtführungen von aktuell oder ehemals Obdachlosen in Bonn / Homepage des Vereins stadtstreifen e.V. (stadtstreifen.org)

Informationen und Hintergründe zu Housing First in Finnland von der beteiligten Stiftung (ysaatio.fi)

Informationen und Hintergründe zum Wohnprojekt "VinziRast mittendrin" in Wien (vinzirast.at)

Informationen und Hintergründe zum Verein "Little Home" (little-home.eu)

Kommentare zum Thema

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1 Kommentar

  • 1 Maria Pohl 01.02.2023, 20:55 Uhr

    Wir haben diesen Kommentar gesperrt, weil er diskriminierend ist. Euer kugelzwei-Team