"Also mich kriegt keiner hier weg. Also wenn, dann musst du mich schon mit dem Sarg hier wegfahren." Wer so etwas sagt, muss es ernst meinen mit seiner Heimatstadt. Willy Goeken, ehemaliger Kiosk-Besitzer, liebt Essen. Für viele ist es die heimliche Hauptstadt des Ruhrgebiets.
Essen ist die zweitgrößte Stadt des Ruhrgebiets und erinnert schon mit ihrer Silhouette an eine Metropole. Hinter den Fassaden der Essener Hochhäuser verbirgt sich eine Wahrheit, die wenige Außenstehende mit der Ruhrstadt in Verbindung bringen: Essen ist heute Heimat von einigen der umsatzstärksten Wirtschaftsunternehmen in Deutschland.
Zerstörung und Wiederaufbau
Die Energieriesen E.ON und RWE sind längst aus dem langen Schatten der Kruppdynastie getreten. Der Essener Ballonfahrer Raimund Dreker erinnert sich: "Krupp war das Unternehmen für Essen und umgedreht: Essen war Krupp." Viele Menschen arbeiteten im Krieg in der wichtigsten Rüstungsschmiede des Landes. Die Gussstahlfabrik wurde so natürlich zu einem der wichtigsten Ziele der britischen Bomber. Die Folge: Bei Kriegsende waren fast 90 Prozent der Essener Innenstadt zerstört. Für die Überlebenden und die Heimkehrer begann das Wegräumen der Trümmer und der Wiederaufbau der Stadt.
Einkaufsstadt Essen
Und der Wiederaufbau ging schnell. Es entstand eine der populärsten Einkaufsmeilen des Ruhrgebietes, die Kettwiger Straße. Essen nannte sich jetzt "die Einkaufsstadt".
Und schon früh konnten die Menschen hier wieder stolz sein auf ihre Stadt: 1955 wurde Rot-Weiß Essen Deutscher Fußballmeister. Neben Essens Idol Helmut Rahn feierten internationale Filmstars bei großen Premieren in der Lichtburg. Romy Schneider entzückte dort auf dem roten Teppich, während die Beatles in der Grugahalle rockten. Zeitweilig hatte die Stadt mehr als 700.000 Einwohner und war damit die größte Stadt des Ruhrgebietes.
Kohlefreie Zone
Kein Widerspruch zum Bergbau-Image: Viele Essener fanden Arbeit im größten Bergwerk der Region: der Zeche Zollverein. Immer wichtiger wurden aber die Beschäftigungsmöglichkeiten in den Büros der großen Firmen. Essen wurde mehr und mehr auch Verwaltungsstadt.
Der Konflikt zwischen gut und weniger gut verdienenden Menschen zeichnete sich bald geografisch ab. Hier der graue, von Industrie geprägte Norden, dort der grüne Essener Süden als Heimat des bürgerlichen Establishments. Und 1986 kam dann noch das Aus für die Zeche Zollverein. Essen ist seitdem kohlefreie Zone.
Der richtige Hauptstadttitel
Im Verlauf des Strukturwandels wurden aus ehemaligen Industriestätten kulturelle Zentren, Tanz und Design breiteten sich in den alten Förderanlagen aus. Wo früher Arbeit war, ist jetzt Kultur. Dank des Landes Nordrhein-Westfalen wurden Zeche und Kokerei Zollverein zum Weltkulturerbe. Und 2010 schaffte es Essen zu einem offiziellen Hauptstadttitel: Ein Jahr lang schaute die Welt auf die Kulturhauptstadt Europas, die Essen zusammen mit den anderen Ruhrgebietsstädten bildete.
"Heimatabend Essen" bringt den Zuschauer an Orte, die für Essen von 1940 an eine bedeutende Rolle gespielt haben. Lebendig werden die Orte durch die persönlichen Erinnerungen der Essener Zeitzeugen. Gerd Petermeyer liebt seine Stadt: "Man sieht es schon von der Ferne, also wenn man einen guten Blick hat, dann sieht man die vier, fünf Riesen schon als Skyline. Es hat schon was Mondänes, ist doch klar."
Ein Film von Frank Bürgin und Jens Tampier
Redaktion: Adrian Lehnigk