Noch findet das Morgengebet statt, da muss die große Halle 1 der Kölner Messe schon wegen Überfüllung geschlossen werden. Es ist kurz nach neun Uhr und es steht einfach "Bibelarbeit" auf dem Plan. Aber der Bibelarbeiter ist einer der Stars dieses Kirchentags: Desmond Mpilo Tutu, südafrikanischer Erzbischof und Friedensnobelpreisträger. Während die Besucher singen, sitzt der kleine Mann regungslos, mit geschlossenen Augen an seinem Platz. Aber als er das Podium betritt, kocht sofort der Saal.
Falsche Propheten von Hitler bis Mugabe
Ein Chor aus Tutus Heimat ist da und begrüßt seinen Bischof mit Gesang, der kaum einen auf den Plätzen hält. Tutu macht einige Tanzschritte auf dem Podium, dann schmunzelt er und sagt: "Jetzt folgt aber eine ganz normale, in Deutschland übliche Ansprache."
Falsche Propheten beim Namen genannt
Aber was ist eine ganz normale Ansprache bei dem Mann, der gegen die Apartheid kämpfte und später die Wahrheitskommission zur Aufarbeitung der Vergangenheit Südafrikas leitete? Tutu soll einen Text des Propheten Jeremia auslegen, in dem der über falsche Propheten schimpft, die dem Volk nach dem Mund reden und erdachte Träume für Gottes Wort halten. Tutu benennt sehr konkret, wer das für ihn ist: In Deutschland waren es die Christen, die Hitler zustimmten, in Südafrika die christlichen Politiker und Kirchenführer, die Rassentrennung mit der Bibel begründeten. Heute seien es leider auch einige seiner Bischofskollegen, die in Simbabwe immer noch Präsident Mugabe die Stange hielten.
Gott liebt auch George Bush
Dass Tutu seine Ansprache auf Englisch hält, bemerkt man zwischendurch kaum mehr. Er spricht eine Sprache, die jeder versteht und weiß auch pointensicher für Lacher zu sorgen. "Gott liebt alle, die Armen und die Reichen, die Weißen und die Gelben, Dicke, Dünne, Schöne und weniger Schöne, Schlaue und weniger Schlaue und auch George Bush."
Und dann geht es gleich um die, welche den Irakkrieg damit rechtfertigen, dass der Islam eine Religion der Gewalt sei. "Das ist eine Lüge", sagt Tutu und verweist auf die christliche Terroristen, auf den Attentäter von Oklahoma und den Ku-Klux-Klan. Gott ist nicht auf der Seite einer Religion, sagt Tutu, sondern auf der Seite der Armen, Hungernden und Versklavten - und in ihnen fände man Gott. "Sollen wir denn zu Mahatma Ghandi oder dem Dalai Lama sagen: Tut uns leid, ihr seid keine Christen, ihr kommt nicht in den Himmel? Nein! Gott ist kein Christ."
Die Halle tanzt
Tutu lobt die Deutschen für ihr Engagement gegen die Apartheid: "Eure Demonstrationen und euer Boykott haben geholfen, dass wir jetzt frei sind." Er fordert das Publikum auf, sich gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus auch zu Hause einzusetzen. Als Tutu das Podium verlässt, springt der Martin-Luther-Chor aus Südafrika auf und beginnt zu tanzen. Der Erzbischof stellt sich dazu und tanzt mit. Und schließlich tanzen sogar einige von denen, die draußen vor der Hallentür nur die Übertragung hören konnten.