Zur Geschichte der Glocken unserer Pfarrgemeinde
Von H. Kolewa, H. G. Schmitz und Pfarrer Thomas Oster
Und doch wissen wir recht wenig über sie, obwohl drei von ihnen über 100 Jahre und eine sogar schon mehr als 300 Jahre ihren Dienst tun.
Die Chronik unserer Pfarrei liefert einige Hinweise zu ihrer Geschichte.
Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts bestand das Geläute von St. Martinus nur aus 2 Glocken mit den Tönen ‚e’ und ‚g’.
Die g-Glocke stammt aus dem Jahr 1658, während die e-Glocke erst 1851 gegossen wurde. Diese verhältnismäßig junge Glocke hatte aber, wie es in der Chronik heißt, „schlechten Ton“, wohl wegen des „schlechten Gusses“, wie sich später beim Zerschlagen zeigen sollte.
Darum bestand schon lange der Wunsch, ein besseres und den Verhältnissen der Kirche und der Pfarre entsprechendes Geläut zu beschaffen. Eine Sammlung freiwilliger Beiträge ergab ein glänzendes Resultat.
1898 holte man zunächst das Gutachten eines Sachverständigen ein. Dieser stellte fest, dass die alte Glocke „wegen ihres Gusses, ihres Tones auch der Inschriften erhalten werden musste“, während die jüngere e-Glocke bei der Erneuerung des Geläuts in Zahlung gegeben werde konnte.
So wurde mit der Glockengießerei Otto in Hemelingen bei Bremen ein Vertrag geschlossen, wonach bis zum 15.10.1898 drei neue Glocken mit den Tönen ‚d’, ‚e’ und ‚fis’ geliefert werden sollten, so dass, wie in der Chronik vermerkt, „fortan 4 Glocken das Lob Gottes verkünden und die Gläubigen erbauen sollten.“
Am 13.10.1898 trafen die drei neuen Glocken, vermutlich per Bahntransport, in Harff ein; am 14.10. wurden sie nach Kirchherten geholt. Nachdem der Sachverständige sie am 15.10. „geprüft und als vollendete Kunstwerke erklärt hatte“, wurden sie am 16.10.1898, dem Kirmessonntag, durch den Dechanten und Ehrencanonecus, Pfarrer in Mülheim a. Rhein, unter Assistenz des Ortspfarrers Gossen und seiner Amtskollegen Jussen (Kalrath), Müllem (Kirchtroisdorf) und Sandkaulen (Morken-Harff) eingeweiht.
Die drei neuen Glocken hatten ein Gesamtgewicht von 84 Zentnern (4200 kg), der Preis pro Zentner belief sich auf 90 Mark, so dass sich ein Gesamtpreis von 7560 (Reichs) Mark ergibt.
Die Inschriften der Glocken
Die Inschriften enthalten Anrufungen der Patrone, aber auch Hinweise auf die Entstehung der Glocken. So findet sich in den Inschriften der ‚d’- und ‚fis’-Glocke die verschlüsselte Jahreszahl 1898.
d-Glocke (Martinus) (in der Mitte)
Technische Daten:
Durchmesser 142 cm, Höhe 125 cm, Gewicht ca. 1950 kg
Inschrift der Glocke:
Sancte Martine, cum adhuc sis necessarius parochianis tuis, noli recusare laborem!
MoVentIbVs SanCtae CaeCILIae VirgInis CantorIbVs fIerI FeCerVnt pII et eXCeLLentes paroChIanI
Heiliger Martinus, weil du bislang deinen Pfarrkindern ein notwendiger Freund gewesen bist, verwehre [auch künftig] dein Werk nicht.
Bewegt durch die Sänger der Heiligen Jungfrau Caecilia haben die frommen und ausgezeichneten Pfarrkinder [mich] entstehen lassen.
e-Glocke (Johannes Nepomuk) (links)
Technische Daten:
Durchmesser 127 cm, Höhe 115 cm, Gewicht ca. 1400 kg
Inschrift der Glocke:
Johannes Nepomuk bin ich genannt, Meister Otto lieh mir ein ehern Gewand! Mein Mund, einst versiegelt auf Gottes Geheiß, soll nun bringen Gott Lob und Gott Preis.
fis-Glocke (Margaretha) (rechts vorne)
Technische Daten:
Durchmesser 114 cm, Höhe 100 cm, Gewicht ca. 950 kg
Inschrift der Glocke:
In honorem Sanctae Margaritae, Virginis et Martyris, fieri fecerunt pii fratres Henricus et Winandus Schmitz.
SanCta MargarIta, VIrgo Cara InterCeDe enIXe pro PIIs tVIs serVIs In nostris trIbVLatIonIbVs.
Zu Ehren der Heiligen Margarethe, Jungfrau und Märtyerin, haben [mich] die frommen Brüder Heinrich und Winand Schmitz entstehen lassen.
Heilige Margarethe, liebenswerte Jungfrau, tritt eifrig für deine frommen Diener in unserer Drangsal ein.
g-Glocke (Maria) (rechts hinten)
Technische Daten:
Durchmesser 105 cm, Höhe 95 cm, Gewicht ca. 750 kg
Inschrift der Glocke:
Sancta Maria Anna Martine
1658 Godefridus Stomelen me fecit sub D. pastore Petro Weitz expensis sernissimi Philippi Wilhelmi per Johannes Rolandum Weierstraß praefectum Castrensem subministratis. Anna Schmitz, Anna Meusesr et Anna Kleuvers e Kirchherten assistiterunt consecrationi cum Jacobo Hugem.
Heilige Maria, Anna, Martinus
1658 hat mich Gottfried Stomelen unter dem Herrn Pastor Peter Weitz mit Hilfe von Spenden des [Herzogs] Philipp Wilhelm gemacht, die durch Johann Roland Weierstraß, Vorsteher von Kaster, überbracht worden sind. Anna Schmitz, Anna Meusers und Anna Kleuvers waren bei der Konsekration mit Jakob Hugem zugegen.
Zur Geschichte der Glocken unserer Pfarrgemeinde
Schicksal der Glocken während des 2. Weltkrieges.
44 Jahre lang taten die drei neuen Glocken Martinus, Margaretha und Johannes zusammen mit der alten Marienglocke nun ihren Dienst im Turm von St. Martinus, bis am 25.05.1942 ein Abbaukommando erschien. Die Kirchhertener Glocken sollten, wie viele andere auch, eingeschmolzen und das Metall für die Rüstung verwendet werden.
„Nicht mal eine einzige wollte man uns lassen, und alle Proteste gegen diese Rücksichtslosigkeit waren nutzlos“, berichtete der damalige Pfarrer Jeanmart später. „So mussten wir auch die alte Marienglockevon 1658 hingeben, die fast 300 Jahre im Turm gehangen und alle Stürme der langen Zeit überdauert hatte“.
Bevor sie den Weg in die Schmelzöfen antreten sollten, standen die Kirchhertener Glocken zwei Jahre lang auf einem Lagerplatz in Bergheim, denn zuerst wurden grundsätzlich nur die jüngeren Glocken eingeschmolzen, so dass die älteren und wertvolleren vor der Zerstörung bewahrt blieben. Erst im Februar 1944 wurden sie zum Einschmelzen nach Hamburg abtransportiert, wo tausende von Glocken auf ihr Ende im Schmelzofen warteten.
„Nun erschienen alle stillen Hoffnungen auf Erhaltung unserer Glocken begraben“, berichtete Pfarrer Jeanmart. „Die überstürzenden Ereignisse des letzten Kriegsjahres und die Zerstörung der Schmelzöfen durch Bomben ließ den Kriegsmachern keine Zeit, all diese Glocken noch einzuschmelzen. Wohl wurden viele Glocken durch Bomben zerstört, aber ein gütiges Geschick wollte es, dass etwa 40 Glocken aus dem Kreise Bergheim erhalten blieben, darunter auch unsere schönen Glocken.“
Nach Kriegsende bedurfte es seitens der Kirchenbehörden zunächst langer Verhandlungen mit der englischen Besatzungsmacht, ehe die Glocken freigegeben wurden.
Erst nach vielen Anfragen und Erkundigungen erhielt Pfarrer Jeanmart 1947 die Nachricht, dass die Kirchhertener Glocken den Krieg fast unbeschadet überstanden hatten. Mit 500 anderen Glocken aus dem Rheinland kamen sie im Spätsommer auf dem Schiffsweg nach Düsseldorf, wo Jeanmart sie Mitte September 1947 identifizieren und den Rücktransport veranlassen konnte.
Am 24.09.1947 trafen die 4 Glocken von St. Martinus wieder in Kirchherten ein; Grund genug für die Gemeinde, sich abends um 19.00 Uhr vor der Kirche zu einer Feier zu versammeln. Geläutet werden konnten sie freilich noch nicht, da die Klöppel erst neu angefertigt werden mussten, bevor die Glocken ihre alten Plätze im Turm wieder einnehmen konnten.
Dennoch war dieser Tag, wie Pfarrer Jeanmart in seiner Ansprache betonte, für die Pfarrgemeinde ein Freudentag:
"Was niemand für möglich gehalten hätte, ist die glückliche Rückkehr unserer sämtlichen Kirchenglocken aus fünfjähriger Verbannung. [...] Wir freuen uns, dass wir unsere Glocken wieder haben. Das ist für unsere Gemeinde ein großer finanzieller und ein größerer ideeller Gewinn. Denn neue Bronzeglocken zu beschaffen, wäre in der heutigen Zeit fast unmöglich gewesen.
So haben wir gewiss allen Grund, am heutigen Abend auch demjenigen zu danken, der seine schützende Hand über unseren schönen Glocken in der Verbannung gehalten hat, und das ist der Herrgott und seine gütige Vorsehung. Ihm wollen wir die Ehre geben. Darum Gott sei gelobt und gepriesen. Und danken wir auch unserem Kirchenpatron, dem die große Martinsglocke gewidmet ist, und dem hl. Johannes und der hl. Margaretha, und vor allem auch der Gottesmutter, deren Namen unsere Glocken tragen. Diese heiligen Schutzpatrone unserer Gemeinde und unserer Glocken haben gewiss mitgeholfen, dass sie nunmehr heimgekehrt sind und bald wieder ihres hehren Amtes walten dürfen, nämlich uns zu rufen zum Gottesdienste, unsere Herzen zu Gott zu erheben und uns Kunde zu geben von den ewigen Dingen, von dem ewigen Gott und Vater im Himmel, und unserer ewigen Bestimmung: dass unsere wahre Heimat nicht hienieden, sondern dort oben ist. Möchten wir darum auch den erhabenen Sinn der Glocken verstehen, auf ihre Stimme hören:
Sursum corda ! Empor die Herzen !
Ja, das wäre der beste Dank für die Wiedererlangung unserer Glocken, dass die ganze Gemeinde, jung und alt in dem Rufe der Glocken den Ruf Gottes erkennen und ihm in heiliger Treue allezeit folgen würde, damit so unserer Pfarrgemeinde der Glaube sich von neuem befestige und die Treue zu Kirche und unserem Oberhirten. Dass unsere Gemeinde aber auch immer mehr werde eine wahre Gemeinschaft der brüderlichen Liebe, wo alle ein Herz und eine Seele sind, alle geeint in Christus, unserem himmlischen König.“
Quelle: Pfarrbrief Ostern 1992 (H. Kolewa) - Das Material für diesen Beitrag wurde Herrn Kolewa freundlicherweise von Herrn H. G. Schmitz zur Verfügung gestellt.
Der Brauch des Beierns
Der Brauch des Beierns ist ein typischer rheinischer Brauch und wird in den nordwestlichen Teilen des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation seit dem 14. Jahrhundert bezeugt. Man unterscheidet dabei zwischen „Baiele" und „Bammschlonn". Bei Baiele ist das Ende eines Seiles an einen Balken des Glockenstuhles befestigt. Das andere Ende ist zu einer Schlaufe verarbeitet, worin der Klöppel der Glocke eingesteckt wird. Dabei wird die Länge des Seiles so bemessen, dass der Klöppel nur wenige Zentimeter vom Glockenmantel entfernt ist. Die Beiermänner ziehen nun in rhythmischen Bewegungen an den verschiedenen Seilen, wodurch sich eine Melodie ergibt.
Beim Bammschlonn hingegen wurde die größte Glocke mit dem Seil normal geläutet, während die anderen Glocken in der oben beschriebenen Weise gebeiert wurden. So entstand die Melodie des „Bamm".
Es gab sogar einen Beiervers - wie in vielen Orten üblich – durch den der damalige Küster verspottet wurde:
„Bim bam beie, de Küster mag ken Eie."
Dieser Spottvers bezog sich auf die Sitte des „Eierdrechens". Ähnlich wie heute die Messdiener gingen damals am Karfreitag der Küster und die Putzfrauen der Pfarrkirche von Haus zu Haus und sammelten als Lohn für ihren Dienst Eier.
In Kirchherten gibt es zwar keinen Beiervers, aber eine lange Tradition des Beierns. Am Tag vor der Erstkommunion, bei den Sakramentsprozessionen an Christi Himmelfahrt und an Fronleichnam, sowie neuerlich auch am Patronatsfest des hl. Martinus werden die Glocken geschlagen.
Lange Jahre haben Heinrich und Adam Hamacher diese Tradition gepflegt, und zum Glück einige Helfer in die Kunst des Beierns angelernt.
Auf Initiative des Pfarrgemeinderates konnten weitere Interessenten gewonnen werden, sodass der Brauch des Beierns auf lange Sicht gesichert ist.
Quellen: Pfarrbrief Ostern 1992 (H. Kolewa) - Das Material für diesen Beitrag wurde Herrn Kolewa freundlicherweise von Herrn H. G. Schmitz zur Verfügung gestellt. Außerdem zum Thema Beiern: Osterpfarrbrief 2002 - Pfr. Thomas Oster
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung durch Matthias Herzogenrath, Mitglied des Pfarrgemeinderates und auch Mitgestalter der Internetseiten des Seelsorgebereiches Stadt Bedburg.