"Eine Wohlfühlveranstaltung? Hier?" Die Delegierte Sabine Seidel aus Castrop-Rauxel reagiert sichtlich amüsiert auf diese Frage. "Naja, große Kontroversen erwarte ich tatsächlich nicht." Zum ersten Mal nach der gewonnenen Landtagswahl trifft sich die SPD-Basis in der Hagener Stadthalle wieder - in angenehmer Atmosphäre. Es gibt Currywurst und Bierchen und viele Gelegenheiten für einen netten Plausch mit politischen und anderen Freunden. Der erste große Applaus des Abends gehört der Ministerpräsidentin - und dem ZDF: Denn nach dem aktuellen Politikbarometer liegt Hannelore Kraft auf der Beliebtheitsskala zum ersten Mal vor Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Kraft: "Keine faulen Kompromisse"
In einer sehr emotional gefärbten Rede rekapituliert Kraft noch einmal die Ereignisse der Wahlnacht vor rund einem Monat. Heute wisse man, dass dieses Wahlergebnis der SPD im Bund einen großen Schub nach vorne eingebracht habe. Auch auf das Ergebnis der dreiwöchigen Verhandlungen, den fast 200 Seiten starke Koalitionsvertrag, könne die NRW-SPD stolz sein. "Auch wenn es nicht 100 Prozent SPD ist, es sind keine faulen Kompromisse." Die SPD werde insbesondere dafür sorgen, dass der Haushalt nicht auf Kosten der Kommunen saniert werde. Dennoch müssten Schulden abgebaut und bis 2017 nach und nach jährlich bis zu einer Milliarde Euro eingespart werden. Nun bereite man sich auf harte Auseinandersetzungen mit der Bundesregierung vor. "In Fragen der finanziellen Zuständigkeit wird es Meinungsverschiedenheiten geben."
"Energiewende bleibt Sache der Chefin"
Neben dem Ausbau erneuerbarer Energien sei es für die SPD wichtig gewesen, im Vertrag zu vermerken, dass auch fossile Kraftwerke noch längere Zeit zur Stromversorgung gebraucht werden, erklärt Kraft weiter. Grundsätzlich gelte auch im neuen Regierungsbündnis: "Die Energiewende bleibt in Nordrhein-Westfalen Sache der Chefin." Insgesamt wolle man die "Kultur des Dialogs" auch in einer neuen Regierung pflegen - auch im Umgang mit der Opposition. "Doch zunächst hoffe ich auf ein gutes Ergebnis dieser Abstimmung", schließt Kraft ihre Rede. Es folgt minutenlanger Applaus.
Standing Ovations und dann schnell nach Hause
In der folgenden halbe Stunde treten noch weitere der 422 Delegierten ans Rednerpult. Widerspruch oder gar Kritik an dem Vertragswerk wird nicht laut - die oft konfliktfreudige SPD feiert sich an diesem Abend selbst. Fragen nach angeblichen schriftliche Nebenabsprachen zwischen den Koalitionspartnern, zum Beispiel zum Braunkohlekraftwerk in Niederaußem, werden mit Schulterzucken beantwortet. "Mit mir persönlich hat es keine Nebenabsprachen gegeben", sagt die Delegierte Seidel. "Aber das ist heute Abend kein Thema." Bei so viel Harmonie ist das Abstimmungsergebnis keine echte Überraschung: 100 Prozent Zustimmung, keine Gegenstimme, keine Enthaltung. Standing Ovations - dann leert sich der Saal zügig. "Es gibt schließlich Fußball", sagt die alte und künftige Ministerpräsidentin.