WDR.de: Herr Blüm, Norbert Röttgen (CDU) muss in den kommenden Wochen in NRW einen Wahlkampf führen und gleichzeitig in Berlin an einer konfliktträchtigen Energiewende arbeiten. Kommen bei Ihnen da Erinnerungen hoch?
Norbert Blüm: Ich habe 1990 die Wahl in Nordrhein-Westfalen verloren. So ist das in einer Demokratie. Aber ich habe mit Sicherheit nicht deshalb verloren, weil ich damals außerdem noch Bundesminister war.
WDR.de: Aber Sie wollen doch nicht bestreiten, dass es eine außergewöhnliche Doppelbelastung ist, oder?
Blüm: Das kommt darauf an, wie Sie den Wahlkampf führen. Wenn es ein Wahlkampf nach US-amerikanischer Art mit viel Tralala ist, dann ist das tatsächlich kaum zu schaffen. Wenn Sie sich auf Inhalte konzentrieren, dann ist das nur eine Frage der Organisation. Und ich habe sowieso eine nostalgische Sehnsucht nach Wahlkämpfen, in denen wirklich über politische Sachfragen gestritten wird.
WDR.de: In jedem Fall muss der Kandidat viel Präsenz zeigen: Sie selbst hatten damals über 100 Wahlkampftermine, zusätzlich zu Ihrer bundespolitischen Arbeit. Ist das wirklich nur ein organisatorisches Problem?
Blüm: Eine Kaffeefahrt ist das nicht. Besonders weil ich während des Landtagswahlkampfs damals auch das schwierige, sehr zeitaufwendige Thema Deutsche Einheit hatte. Und die Gesundheits- und Rentenreform. Aber ich denke, weder der Wahlkampf noch meine Aufgaben in Bonn haben darunter gelitten. Man braucht Konzentration und gute Kondition.
WDR.de: Hat sich der Kandidat denn schon bei Ihnen gemeldet und um Tipps gebeten?
Blüm: Nein, das braucht er auch nicht.
WDR.de: Was hätten Sie ihm denn geraten?
Blüm: Er sollte Lösungen anbieten, wie wir in Nordrhein-Westfalen unsere Schulden abbauen können. Und das ist nicht nur ein landespolitisches Thema: Wenn NRW so weitermacht, kann am Schluss die ganze Bundesrepublik darunter leiden.
WDR.de: Sie raten also dazu, im Wahlkampf voll auf das Thema Haushaltspolitik zu setzen?
Blüm: Ja. Und auf Arbeitsplätze. Und darin kennt Röttgen sich schon sehr gut aus. Umweltschutz und neue Energien sind die neuen Wachstumsbranchen.
WDR.de: Noch hat sich Röttgen nicht erklärt, ob er auch bei einer Wahlniederlage in die Landespolitik wechseln will. Ist das ein zu hohes Risiko für seine Karriereplanung? Sie sind schließlich nach der Wahlniederlage auch in Bonn geblieben.
Blüm: Ich hatte mich auch nicht um den Posten des Oppositionsführers beworben. Und das macht Norbert Röttgen auch nicht. Soll er jetzt etwa sagen: "Notfalls mach' ich auch Opposition"? Dann wäre die Niederlage doch wohl programmiert.
WDR.de: Aber den Wähler könnte doch interessieren: Steht dieser Kandidat zu uns? Im Erfolg und in der Niederlage?
Blüm: Also mich interessiert, ob er eine gute Alternative zur derzeitigen Politik anzubieten hat. Was er macht, wenn er verliert, darüber zerbreche ich mir nicht den Kopf.
WDR.de: Der Kandidat gilt als einer der politischen Hoffnungsträger für die kommenden Jahre. Beschädigt die CDU ihren Mann nicht mit einer scheinbar aussichtslosen Aufgabe?
Blüm: Wenn sich ein Politiker ernsthaft mit den großen Fragen der Zeit auseinandersetzt, bleibt ihm keine Zeit mehr für solche müßigen Gedankenspiele. Vielleicht hat die Bevölkerung auch deshalb das Interesse an der Politik verloren, weil so viel über Image und Taktik gesprochen wird.
WDR.de: In NRW legen die Wähler traditionell Wert auf das soziale Profil eines Kandidaten. Hat Röttgen in diesem Bereich noch Defizite?
Blüm: Heute geht es dabei um mehr als um ein bisschen Engagement für die Armen. Es geht darum, wie die Gesellschaft der Zukunft aussehen soll. Und ich habe Norbert Röttgen nie als einen Neoliberalen empfunden.
WDR.de: Aber auch nicht als einen ausgewiesenen Sozialpolitiker.
Blüm: Es gibt auch außerhalb der Sozialpolitik ausgesprochen gute Menschen.
Das Interview führte Andreas Poulakos.