Es gehört zur Ironie dieses kurzen NRW-Wahlkampfes, dass der überzeugendste Moment des gescheiterten CDU-Kandidaten sein Rücktritt war. Klar, eindeutig, im Ton angemessen, zog Röttgen nach Bekanntwerden des Wahlausgangs die Konsequenz aus dem total verkorksten Wahlkampf und trat vom Amt des Landesvorsitzenden zurück. Er musste schnell handeln, um noch eine Chance zu haben, wenigstens seinen Ministerposten zu retten. Drei Tage später ist dieser letzte Schachzug nun ebenfalls gescheitert. Röttgen durfte seine Demission nicht einmal mehr selbst bekannt geben. Die Kanzlerin hat ihn kurzerhand entlassen.
Sein Ehrgeiz wurde ihm zum Verhängnis
Es ist der letzte Akt eines beispiellosen Absturzes. Norbert Röttgen war ein Hoffnungsträger in der Union. Er war jung, intelligent, verkörperte eine moderne, offenere CDU. Viele hatten "Muttis Klügsten" ganz oben auf der Liste der möglichen Nachfolger der Kanzlerin. Er selbst sah sich offenbar auch als solchen. Der eigene Ehrgeiz ist ihm zum Verhängnis geworden.
Röttgen war immer ein Stratege. Um seine hohen Ambitionen zu unterfüttern, brauchte er eine Machtbasis in der Partei. 2010, als die NRW-CDU nach der verlorenen Landtagswahl auseinanderflog, bot sich diese Chance. Röttgen griff zu und sicherte sich per Mitgliederbefragung den Vorsitz des mächtigsten CDU-Landesverbandes. Ein kluger Schachzug, mag er gedacht haben. In Wahrheit war es ein enormes Risiko.
Den Wahlkampf wollte er nicht
Denn die Situation in NRW war instabil. Schon damals musste Röttgen klar gewesen sein, dass es die rot-grüne Minderheitsregierung kaum über die volle Distanz der Legislaturperiode schaffen würde. Und dass er, Röttgen, jederzeit bereit sein musste, als Spitzenkandidat in den Landtagswahlkampf zu ziehen. Er hätte vorbereitet sein müssen, war es aber nicht. Und auch wenn Röttgen immer das Gegenteil behauptete: Diesen Wahlkampf wollte er nicht. Er wollte den Landesvorsitz - um das Land zu kämpfen, war offenbar nicht Teil seiner Zukunftsplanung.
Und so schlidderte Röttgen unvorbereitet in einen ungewollten Wahlkampf und machte Fehler über Fehler. Sein größter war sicherlich zu glauben, er könne die Wähler über seine wahren Absichten täuschen. Jedem war doch klar, dass er nicht nach Düsseldorf gehen wollte, wenn die Wahl verloren gehen würde. Dieser Fehler war der Ausgangspunkt für die Niederlage. Röttgen war unglaubwürdig. Etwas Schlimmeres kann es für einen Politiker nicht geben. Die Wähler liefen in Scharen davon. Röttgens Rücktritt war folgerichtig, und seine Entlassung auch.
Die Kanzlerin hat das geringere Übel gewählt
Horst Seehofer wird sich möglicherweise dafür feiern lassen, Norbert Röttgen abserviert zu haben. Seine merkwürdige Wutrede im ZDF hat sicherlich dazu beigetragen, die ohnehin schwache Position des Umweltministers zu untergraben. Aber er war bei Weitem nicht der einzige in der Union, der von Röttgen maßlos enttäuscht ist. Im eigenen Landesverband kochte es. Etliche frühere Abgeordnete, die in vermeintlich sicheren Wahlkreisen angetreten waren und dennoch verloren, sind immer noch außer sich vor Wut.
Die Kanzlerin wird das registriert haben. Und sie wird abgewogen haben, was das geringere Übel ist: Eine Kabinettsumbildung oder ein angeschlagener Minister. Ein Minister, dessen Ehrgeiz ihn in einen Wahlkampf getrieben hat, dem er nicht gewachsen war. Ein Minister, der bei aller Taktiererei nicht dazu gekommen ist, eines der wichtigsten Zukunftsprojekte des Landes, die Energiewende nämlich, anzugehen. Ein Minister, der nur noch eine Belastung gewesen wäre. Sie hat richtig entschieden.