Hinter den Verhandlungsgruppen von SPD und Grünen liegen harte Wochen. Unter ständigem Zeitdruck haben die zehn Arbeitsgruppen beinahe jeden Tag zusammengesessen, um den neuen rot-grünen Koalitionsvertrag auszuhandeln. Jetzt, kurz vor dem Ziel, sind zwar viele Themen abgearbeitet - unter anderem die Bereiche Jugend, Kultur, Sport, Armutsbekämpfung, Frauen, Innenpolitik, Justiz, Medienpolitik und Kommunales. Details dazu wollen die Koalitionäre aber vorerst nicht verraten. Denn, so lautet das Koalitionsmantra: "Alle Projekte stehen unter Finanzierungsvorbehalt." Das heißt: Die Verhandlungsführer wollen abwarten, bis das große Ganze steht und klar ist, wofür Geld da ist und wofür nicht.
Vertraulich wie bei der Beichte
Zuständig für das große Ganze und die wirklich heiklen Themen ist ein voraussichtlich achtköpfiges Gremium, das am Montag Vertreter der Arbeitsgruppen zum Rapport bittet - den Beichtstuhlgesprächen. Mit Sünden und Absolution hat das Verfahren eher wenig zu tun, doch es soll angeblich ähnlich vertraulich zugehen wie bei einer Beichte. Zum Gremium gehören die Verhandlungsführerinnen Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann (Grüne) sowie je drei weitere Spitzenpolitiker beider Seiten. Sie sollen bei den strittigen Fragen Kompromisse finden. Am Dienstag dann sollen die so gefundenen Lösungen in einer letzten großen Koalitionsrunde vorgestellt und beschlossen werden.
"Die wahre Todesgruppe"
Doch wo gibt es noch Konflikte? Offiziell wollen Kraft und Löhrmann dazu nichts sagen. Es ist aber klar, dass beinahe jeder offene Punkt mit Geld zu tun hat. Die Koalition nämlich will sparen. Der 58 Milliarden-Haushalt soll strukturell, das heißt dauerhaft, um rund eine Milliarde Euro gekürzt werden. Wie diese Summe aufgetrieben werden kann, versucht die Arbeitsgruppe Finanzen zu klären - die "wahre Todesgruppe", wie ein Verhandlungsteilnehmer sagt. Eine Reihe von Vorschlägen liegt auf dem Tisch. Der womöglich wichtigste: Alle Ressorts sollen bei den Förderprogrammen kürzen. Bekannt wurde bereits, dass die Eigenheimförderung von jährlich 200 Millionen Euro zusammengestrichen werden könnte. Aber auch in anderen Ressort, besonders im Umwelt- und Familienressort, stehen Förderprogramme auf dem Prüfstand. Nicht immer geht es dabei um Streichungen. Wie WDR.de aus Verhandlungskreisen erfuhr, wäre es auch möglich, Förderprogramme unter Finanzierungsvorbehalt zu stellen. Nach dem Motto: "Wir wollen daran festhalten, wenn aber kein Geld übrig ist, geht es nicht."
Präventionsgewinne im Etat?
Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Sparvorschläge. Die Grünen zum Beispiel wollen eine Polizeireform auf den Weg bringen und dort 2.000 Stellen streichen - die SPD sträubt sich dagegen. Ein anderer Vorschlag lautet, die Landesbetriebe auszugliedern. Nach WDR.de-Informationen denken die Koalitionäre auch darüber nach, so genannte Präventionsgewinne im Koalitionsvertrag zu verankern. Das bedeutet, Rot-Grün würde jetzt schon eine bestimmte Summe ansetzen, die durch die Kraft'sche Vorbeugungspolitik künftig eingespart wird. So könnte beispielweise der Etat für den Justizvollzug vorsichtig abgesenkt werden in der Hoffnung, dass künftig nicht mehr so viele Jugendliche im Gefängnis landen.
Geld sparen könnte das Land auch, wenn es frei werdende Lehrerstellen nicht neu besetzt. Diese "Demografiegewinne" will die SPD nutzen, die Grünen möchten die Lehrer aber lieber im System lassen, um die Qualität der Schulen zu verbessern. Genau andersrum verlaufen die Konfliktlinien beim kostenlosen Kitajahr. Die Sozialdemokraten wollen eines ihrer wichtigsten Wahlkampfthemen nicht aufgeben, während die Grünen die geschätzten Mehrkosten von 180 Millionen Euro pro Jahr vermeiden wollen.
Dissens um neue Kraftwerke
Und dann ist da noch das Thema Energie. Das hat ausnahmsweise weniger mit Geld zu tun, dafür aber mit Ideologie. Konkret geht es vor allem um den Bau neuer Gas- und Kohlekraftwerke. Die Grünen pochen darauf, dass die Formulierung aus dem Koalitionsvertrag von 2010 unverändert übernommen wird. Das heißt: Bereits geplante Kraftwerke sollen vollendet werden, neue soll es nicht geben. Die SPD hingegen glaubt, dass nach dem Atomausstieg mehr Energie aus Kohle und Gas nötig sein wird. Ob dieser Dissens aufgelöst oder durch eine Kompromissformel entschärft wird, ist unklar.
Neues Ministerium geht an die SPD
Beim Zuschnitt der Ministerien scheint sich hingegen zu bestätigen, was schon seit gut einer Woche kolportiert wird: Das Wirtschaftsministerium wird wohl zweigeteilt in die Bereiche Wirtschaft und Energie sowie Verkehr, Bau und Wohnen. Das zusätzliche Ministerium soll an die SPD gehen, wer es leitet, ist noch unbekannt. Im Gegenzug, so hört man, bestehen die Grünen darauf, dass der Bereich Erneuerbare Energien im Umweltministerium bleibt. Eine Entscheidung ist noch offen.