Cem Özdemir kann eigentlich ganz gute Witze machen. Auch bei seiner Rede in der Essener Messehalle am Sonntag (01.04.2012) trifft so manche Pointe ins Ziel. Bis auf die eine. Gerade ist er dabei, sich über Philipp Rösler von der FDP lustig zu machen. Dann sagt er: "So, wie die schwarz-gelbe Koalition in Berlin miteinander umgeht, so was gab es selbst in den schlimmsten Zeiten von Rot-Grün in NRW nicht." Statt Lacher erfüllt Geraune den Saal. Ganz offensichtlich gibt es nicht nur gute Erinnerung an den Wunschpartner von der SPD.
Dunkle Erinnerungen nach 20 Monaten Harmonie
Sicher, Parteichef Özdemir hat nicht die gescheiterte Minderheitsregierung gemeint, sondern die rot-grüne Zeit unter den Ministerpräsidenten Wolfgang Clement und Peer Steinbrück. Diese Zeit aber hat Wunden hinterlassen. Und die sind auch nach den knapp 20 eher harmonischen Monaten unter der Führung von Hannelore Kraft nicht vergessen. Gerade jetzt nicht, im Wahlkampf.
Kalkül geht bislang nicht auf
Die Grünen nämlich haben ein Problem. Während die SPD in Umfragen auslotet, was nach oben möglich ist, befindet sich die Ökopartei im Sinkflug. In jüngsten Umfragen liegt sie bei ungefähr zwölf Prozent. Das ist das Ergebnis der letzten Landtagswahl. Dabei hatten sich die Grünen insgeheim schon ausgerechnet, dass es bei einer Neuwahl mehr Sitze und einen zusätzlichen Ministerposten geben würde. Dieses Kalkül geht nach derzeitigem Stand nicht auf.
Grüne wollen nicht das Beiboot sein
Die Grünen sind entsprechend unzufrieden, und sie sind verunsichert. Cem Özdemir, der nach Essen gekommen ist, um den Parteifreunden Mut zu machen, wie es bei seiner Vorstellung heißt, beschwört denn auch die eigene Stärke der Grünen. "Die Zeiten, wo Grüne das Beiboot waren, sind vorbei", sagt er. Es gehe um Politik auf Augenhöhe, ein Verhältnis von Koch zu Kellner dürfe es nie mehr geben. "Wir brauchen Eigenständigkeit", ruft Özdemir den NRW-Grünen zu.
Auch die neu gewählte Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann hatte bei ihrer Rede am Freitag (30.03.2012) auf die Unterschiede zur SPD hingewiesen. "Wir wollen unser Industrieland NRW nicht allein der SPD überlassen, bei denen immer wieder das Kohle-Gen durchbricht", hatte Löhrmann gesagt. "Grün macht den Unterschied."
Dieser Satz, der gleichzeitig das Motto des grünen Wahlkampfs ist, zieht sich wie ein Leitmotiv durch die Reden der Delegierten bei diesem drei Tage langen Parteitag. Es müsse darum gehen, die Unterschiede herauszustellen, heißt es. Der Wahlkampf sei kein Zweikampf Kraft-Röttgen. Es lohne sich, Grün zu wählen. Auf die Zweitstimme komme es an. Rot-Grün, heißt es, ist das Ziel. Aber es müsse möglichst viel Grün dabei herauskommen.
Piraten sind öffentlich nicht das Feindbild
Klar, weitaus mehr Polemik gibt es gegen CDU und FDP. Eine klare Absage erteilen die Grünen einer schwarz-grünen Koalition. Die Gemeinsamkeiten mit Röttgen seien allenfalls theoretisch, sagt Parteichef Sven Lehmann. Ein Ampelbündnis wird nicht einmal erwähnt, geschweige denn in Betracht gezogen. Und Kritisches hört man auch zu den Piraten.
Allerdings nicht allzu viel. "Die Partei mit dem albernen Namen und der lächerlichen Politik", sagt Reiner Priggen, der frühere Fraktionschef, der auf Platz zwei der Landesliste gewählt wurde. Er ist einer der Wenigen, die sich mit der neuen Konkurrenz auseinandersetzen. Ansonsten bleibt es meist bei dem Hinweis, inhaltlich könne man sich nicht mit einer Partei beschäftigen, die kaum Inhalte habe. Dass es aber gerade die Piraten sind, die die Grünen nervös machen, zeigt die empörte Reaktion einiger Delegierter, als sie entdecken, dass eine große Sonntagszeitung den Piraten gleich drei Seiten gewidmet hat.
Angesichts dieser Widrigkeiten demonstrieren die Delegierten Geschlossenheit. Bei der Wahl der Listenplätze gibt es die erste Kampfkandidatur erst um Platz 23. Alle 23 Abgeordneten, die zuletzt im Parlament saßen, treten wieder an. Selbst die Programmdebatte fällt erstaunlich kurz aus, obwohl 150 Änderungsanträge bedacht werden wollen. Mit nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung wird das Wahlprogramm schließlich schon am Sonntagmittag verabschiedet. Das Wahlprogramm von 2010 ist nicht komplett überarbeitet, sondern aktualisiert worden. Hauptwahlkampfthema soll die Energiewende werden. Die Grünen widmen außerdem der direkten Demokratie größere Aufmerksamkeit als bisher - auch als Reaktion auf den Erfolg der Piraten.
Ein schwerer Wahlkampf
"Der Wahlkampf wird nicht leicht", gibt die Parteichefin Monika Düker den Delegierten mit auf den Weg. Es gehe um eine Richtungsentscheidung. Dieser Weg soll nach oben führen, hoffen die Grünen. Sicher sind sie da aber nicht.