Kämpferische Töne sind selten in der Duisburger Mercatorhalle. Eigentlich wird hier klassische Musik vorgetragen. Nach den Liberalen wird am selben Ort Severin von Eckardstein zum 7. Kammerkonzert aufspielen - mit Werken von Schubert, Debussy, Tschaikowsky und Medtner. Doch am Sonntag (01.04.2012) geben hier noch Bahr und Lindner den Ton an, wollen eine überraschend selbstbewusst wirkende Partei offensiv in den Landtagswahlkampf führen.
"Die FDP wird gebraucht"
Die FDP hat für Sonntag gleich zu zwei Terminen eingeladen: zu einer Landeswahlversammlung, auf der die Landesliste zur Landtagswahl bestimmt werden soll, und zu einem außerordentlichen Landesparteitag, auf dem der Wahlaufruf der Partei beschlossen werden soll. Die Hauptpersonen des Tages stehen fest (Bahr und Lindner), die Rollen sind auch bereits verteilt (Bundes- und Landespolitik).
So spricht der Noch-Landesvorsitzende Daniel Bahr zu Beginn des Parteitages klar als Bundesminister zu den Delegierten. Seine Rede steht ganz unter dem Motto "Die FDP wird gebraucht". Sie werde etwa gebraucht, weil sie das Richtige tue, so Bahr. Schließlich würde es ohne die FDP heute keinen Bundespräsidenten Joachim Gauck geben. Das Richtige getan hätte die FDP aber auch bei der Ablehnung der Transfergesellschaft für die Schlecker-Mitarbeiter. Denn: "Nur die FDP steht für fairen Wettbewerb", bekräftigt Bahr.
Griechische Verhältnisse in NRW?
Ehe Bahr dann auch noch auf die Erfolge in der Gesundheitspolitik im Bund zu sprechen kommt, auf das für ihn persönlich wichtige Thema Organspenden und die Pflegeversicherung, widmet er sich kurz dem Landtagswahlkampf in NRW. Denn dort werde die FDP nicht nur gebraucht, weil sie das Richtige tue, sondern weil sie zu ihren Entscheidungen stehe, so Bahr. Die Ablehnung des Haushalts 2012 "war und bleibt richtig", erklärt er den Delegierten. Denn: "Wir wollen keine griechischen Verhältnisse in NRW." Nicht nur in Finanzfragen, ganz generell habe sich die SPD offenbar von den Grünen fremdbestimmen lassen, kritisiert Bahr insbesondere die Grünen. "Wir haben nicht in Baden-Württemberg eine grün-rote Landesregierung, wir hatten sie in NRW", so Bahr weiter. Damit sich das ändert, werde die FDP einen offensiven Landtagswahlkampf führen, verspricht Bahr – um wieder in den Landtag zu kommen, "vielleicht sogar in Regierungsverantwortung", so seine Hoffnung.
Führungswechsel in der NRW-FDP
Daniel Bahr wird dann allerdings keine große Rolle mehr in der NRW-FDP spielen. Er wolle als Bundesminister "nicht auf mehrere Hochzeiten tanzen", erklärt Bahr. Damit spricht er kein Geheimnis an, hat die NRW-SPD doch vor wenigen Wochen entschieden, dass Christian Lindner die Partei als Spitzendkandidat und Landesvorsitzender wieder in den Landtag führen soll. Beide Posten hat er allerdings noch gar nicht inne, zumindest zum Spitzenkandidaten soll er aber an diesem Sonntag in Duisburg gewählt werden.
"Lieber neue Wahlen als neue Schulden"
Die Vorstellungsrunde der Listenkandidaten nutzt Christian Lindner denn auch gleich für eine Abrechnung mit der rot-grünen Minderheitsregierung. "Der Staat kann nicht genug Geld haben, als dass Sozialdemokraten damit auskommen können", kritisiert Lindner die Haushaltspolitik der Landesregierung. Hannelore Kraft gefährde mit ihrer Schuldenpolitik auch die Glaubwürdigkeit Deutschlands insgesamt in Europa, ist sich Lindner sicher. Wenn die FDP den Landeshaushalt mit unterschrieben hätte, wäre es die Kapitulationserklärung der FDP gewesen. Seinen Wahlkampf will er denn auch unter das Motto stellen: "Lieber neue Wahlen als neue Schulden". Dass die neuen Wahlen die FDP in aktuellen Umfragen aus dem Parlament gefegt haben könnten, scheint Lindner nicht zu interessieren. "Lasst uns keine Wahlumfragen mehr lesen", sind die einzigen Worte, die die knapp 400 Delegierten zum Thema zu hören bekommen. Dafür erklärt er den Parteikollegen vielmehr, was er für einen Wahlkampf führen möchte: einen souveränen. "Wenn Selbstbewusstsein und Bescheidenheit zusammenkommen, heißt das Souveränität", so Lindner. Er wolle im Wahlkampf nicht über Personen sprechen, sondern vielmehr über Themen: Schuldenpolitik, Bildung und Wohlstand möchte er in den Fokus rücken.
In der Bildungspolitik müsse man beispielsweise aufpassen, dass die Gemeinschaftsschule nicht nur ein trojanisches Pferd sei und am Ende nicht die Einheitsschule dabei herauskommt, warnt Lindner. "Das Gymnasium darf nicht sterben." Er fordert vielmehr ein "faires, vielfältiges Bildungssystem, in dem auch das Gymnasium seine Rolle spielen kann." Aber nicht nur das Gymnasium, auch der sichere Wohlstand müsse in NRW weiterhin eine Rolle spielen. "Wir haben noch einen industriellen Kern hier in NRW, das macht einen Teil unseres Wohlstandes aus", so Lindner. Es sei ein Gebot der Vernunft, dieses Pfund zu pflegen. Allerdings hätte in NRW leider der grüne Umweltminister alles und der rote Wirtschaftsminister gar nichts zu sagen, so Lindner weiter – und fordert: "Die grüne Blockade in NRW muss überwunden werden."
Fast 100 Prozent für Lindner
Am Ende seiner Bewerbungsrede um den Listenplatz eins kommt Lindner auch noch kurz auf die jüngste Konkurrenz der Liberalen zu sprechen: die Piraten. Es gebe durchaus Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte "mit dieser Formation", bekennt Lindner, kritisiert aber zugleich auch die "Kostenlos-Kultur" der Piraten. Das käme einer kulturellen Verarmung des Landes gleich, so Lindner. Die Piraten seien zudem auch "keine liberale Partei", sondern "eine Art Linkspartei mit Internetanschluss".
Keine Frage, Christian Lindners Rede kommt an bei den Delegierten in Duisburg. Konnte der Noch-Landesvorsitzende Daniel Bahr nach seiner Eröffnungsrede nur eine knappe Minute Applaus auf seinem Zeitkonto verbuchen, so sind die Delegierten bei ihrem zukünftigen Landesvorsitzenden Lindner deutlich großzügiger. Zweieinhalb Minuten applaudieren sie stehend ihrem neuen Hoffnungsträger – und wählen ihn anschließend sogar mit 99,75 Prozent auf den Spitzenplatz ihrer Landesliste. Nur einer der 385 stimmberechtigten Delegierten stimmt gegen den früheren Generalsekretär. "Sind wir hier etwa in der DDR?", murmelt danach ein Delegierter aus Köln - sichtlich erfreut über das Ergebnis.
Wolf und Papke abgestraft
Doch schon auf Listenplatz zwei ist's vorbei mit den sozialistischen Verhältnissen. Der ehemalige Fraktionschef der FDP-Fraktion, Gerhard Papke, muss sich zuerst deutliche Kritik aus dem Kreisverband Herford anhören, er hätte mit der Erzwingung von Neuwahlen das Überleben der Partei riskiert – und sich dann mit nur 74,43 Prozent Zustimmung einen deutlichen Dämpfer einholen. Noch schlimmer trifft's allerdings Ingo Wolf. Mit der Arbeit des ehemaligen NRW-Innenministers sind viele Delegierte hier in Duisburg unzufrieden. Und das lassen sie ihn deutlich spüren. Eigentlich will Wolf auf Listenplatz elf kandidieren, erreicht aber im ersten Wahlgang ohne Gegenkandidat nicht einmal die nötige Mehrheit der Delegierten. Erst im zweiten Anlauf klappt's, wenn auch denkbar knapp: Mit 53,3 Prozent wird er schließlich doch noch auf den elften Listenplatz gewählt. Auf die Plätze drei bis zehn wurden gewählt