Das Straßburger Gericht hatte im Fall zweier Sicherungsverwahrter festgestellt, dass die Sicherungsverwahrung in Deutschland zum Teil rechtswidrig ist. Die beiden Männer erhalten Schadensersatz. Das Gericht hatte die deutschen Behörden angemahnt, das Recht der beiden Männer auf Freiheit "zügig umzusetzen".
Eine Sprecherin des NRW-Justizministeriums sagte am Freitag (14.01.2011) zu WDR.de: "Die Behörden sind nun nicht in der Bringschuld. Das Urteil hat keine Gesetzeswirkung." Die beiden Männer müssten sich weiterhin durchklagen. Die JVA Aachen hatte schon vor dem Urteil mitgeteilt, die Insassen auch im Fall ihres Sieges nicht freizulassen.
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Die NRW-Gerichte, die für die Entscheidungen über Entlassungen letztinstanzlich zuständig sind, wollten keine Prognose über ihre künftige Rechtsprechung treffen. Dass sich durch das neue Urteil etwas ändern wird, ist nach Expertenmeinung nicht abzusehen. Der EGMR hatte in einem ähnlich gelagerten Fall Deutschland bereits in der Vergangenheit verurteilt. Michael Skirl, Direktor der JVA Werl, sagte: "Ich verstehe die Aufregung nicht. Der EGMR hatte sich schon im Dezember 2009 in der damaligen Grundsatzentscheidung festgelegt. Jetzt hat er in gleich gelagerten Fällen eben auch so entschieden."
Sicherungsverwahrte in Werl und Aachen
Seit einer Gesetzesverschärfung 1998 bleiben Sicherungsverwahrte in Deutschland unbegrenzt eingesperrt, bis ein Gutachten ihnen Ungefährlichkeit bescheinigt. Vor 1998 mussten die Täter nach spätestens zehn Jahren freigelassen werden. Das neue Gesetz wurde auch rückwirkend angewendet. Und genau das hat im Dezember 2009 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte moniert. Ein deutscher Sicherungsverwahrter, der zu diesen so genannte Altfällen gehörte, hatte erfolgreich dagegen geklagt. Heute lebt er wieder auf freiem Fuß. Aus dem gleichen Grund hatten jetzt auch die beiden Aachener Sicherungsverwahrten vor dem Straßburger Gericht gesiegt.
In NRW sind nur in den Justizvollzugsanstalten (JVA) Werl und Aachen Sicherungsverwahrte untergebracht. Insgesamt sind es 133 Männer. 2010 waren wegen der Entscheidung des EGMR vom Dezember 2009 insgesamt 16 Männer entlassen worden. Sie hatten alle auf ihre Freilassung bei den NRW-Gerichten geklagt. Sieben von ihnen galten noch als gefährlich. Die NRW-Gefängnisse rechnen damit, dass 2011 insgesamt fünf Sicherungsverwahrte wegen des Ablaufs der Zehnjahresfrist entlassen werden müssten. Bis 2019, so das Justizministerium, läuft bei 51 Männern die Frist ab. Sie könnten sich dann auf das Straßburger Urteil berufen.
Oberlandesgerichte warten auf neue Fälle
In NRW sind die Oberlandesgerichte (OLG) Hamm und Köln letztinstanzlich zuständig, wenn Sicherungsverwahrte Rechtsmittel gegen eine verweigerte Entlassung einlegen. Wie stark das Urteil des EGMR die Gerichte in NRW beeinflussen wird, bleibt abzuwarten. OLG Köln-Sprecherin Ute Hohoff sagte zu WDR.de: "Ich kann nicht prognostizieren, wie künftig entscheiden wird. Klar ist aber, dass sich das Gericht bei neuen Entscheidungen auch mit dem jüngsten Urteil aus Straßburg auseinandersetzen wird." Denn der Bundesgerichtshof (BGH) habe festgelegt, dass EGMR-Urteile deutsche Gerichte binden würden. Dem Vernehmen nach wird am OLG Köln abgewartet, wie Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht entscheiden werden. An den obersten deutschen Gerichten sind weitere Fälle anhängig. Jedoch sind sich die Juristen am Bundesgerichtshof uneinig darüber, wie das EGMR-Urteil von 2009 umzusetzen ist. Das Bundesverfassungsgericht befasst sich ab dem 8. Februar mit einem solchen Fall.
Ändert sich am OLG Hamm etwas durch das jüngste Urteil aus Straßburg? "Eventuelle Auswirkungen des Urteils werden sich erst zeigen, wenn sich das Oberlandesgericht in einem neuen Fall damit auseinandersetzen muss", sagte Gerichtssprecherin Christiane Kroll.
Geschlossene Unterbringung wirft Probleme auf
Seit dem 1. Januar 2011 ist die Sicherungsverwahrung - auch aufgrund des EGMR-Urteils von 2009 - neu geregelt. So schreibt beispielsweise das Therapieunterbringungsgesetz vor, dass gefährliche Ex-Sicherungsverwahrte künftig in therapeutischen Einrichtungen untergebracht werden sollen. Voraussetzung: Sie müssen als "psychisch gestört" eingestuft werden können. Auf dem Gelände der JVA Oberhausen sollen diese Täter vorerst sicher untergebracht werden, bis neue Einrichtungen geschaffen werden. Zu diesem Gesetz haben sich die Straßburger Richter im jüngsten Urteil nicht geäußert. Kritiker monieren jedoch schon jetzt, dass es rechtswidrig sein könnte. Ein Argument: Der Bund sei für das Gesetz nicht zuständig gewesen.
Fachleute streiten, Dortmund handelt
Während die Fachleute streiten, wird mancherorts schon gehandelt. Die Stadt Dortmund hat für einen Ex-Sicherungsverwahrten den Antrag auf Unterbringung in einer therapeutischen Einrichtung gestellt. Er gilt noch als gefährlich. Weil er jedoch keine Wohnung fand, lebt er freiwillig in einer psychiatrischen Klinik in Dortmund. Nun soll er künftig in Oberhausen therapeutisch untergebracht werden.