Einen Tag nach der weltweit scharf kritisierten Erstürmung eines Gaza-Hilfskonvois im Mittelmeer sind fünf der elf Deutschen an Bord der Schiffe in die Heimat zurückgekehrt. Darunter auch die Linken-Politikerin Inge Höger aus Herford. Sie gehörte zu einer Gruppe von deutschen Gaza-Aktivisten, die mit einer sogenannten "Solidaritätsflotte" Hilfsgüter in den Gazastreifen bringen wollten. Die Schiffe wurden in der Nacht zum Montag (31.05.2010) von israelischen Elite-Soldaten gestoppt. Dabei soll es mindestens neun Tote und viele Verletzte gegeben haben.
Die israelische Regierung hat am Dienstag ihre Sicht der Dinge dargestellt - und dazu Videos von der Militäraktion veröffentlicht. Die Soldaten hätten in Notwehr gehandelt, so Premier Benjamin Netanjahu. Derweil wird international scharfe Kritik an dem Militäreinsatz gegen den Hilfskonvoi laut.
WDR.de: Sie haben als sogenannte Friedensbotschafterin dieses Schiff bestiegen. Was haben Sie sich von diesem Einsatz versprochen?
Inge Höger: Wir wollten ein weltweites Zeichen setzen und auf die Blockade des Gaza-Streifens aufmerksam machen und darauf, dass keine Hilfsgüter zum Wiederaufbau durchgelassen werden. Ich dachte, wenn Abgeordnete dabei sind, wäre es auch ein Schutz für das Schiff, um es durchzulassen.
WDR.de: Sie haben die Erstürmung des Schiffes nicht unmittelbar erlebt, sondern waren unter Deck auf der "Mavi Marmara". Was ist Ihnen vor Ort berichtet worden?
Höger: Mir ist berichtet worden, dass die israelische Armee etwa um halb fünf mit vielen Schnellbooten um das Schiff herum gefahren ist, dass sich aus Hubschraubern Soldaten abgeseilt haben, die Tränengas verschossen. Es gab viele Verletzte und Tote.
WDR.de: Wie sind Sie selbst dort behandelt worden?
Höger: Wir mussten uns auf dem Deck versammeln, uns wurden mit Kabelbindern die Hände verbunden. Die Männer mussten knien, wir Frauen durften auf den Bänken sitzen. Stundenlang. Wir konnten uns nicht bewegen. Man hat uns alle Sachen abgenommen, nur die Pässe durften wir behalten. Vermummte Soldaten haben mit Maschinengewehren auf uns gezeigt. Das war Krieg. Wir sind gekidnappt worden.
WDR.de: Man erzählt, es habe Kopfschüsse auf dem Schiff gegeben.
Höger: Ja, ich habe gehört, dass es gezielte Kopfschüsse gegeben haben soll. Aber da ich nicht dabei war, kann ich Ihnen das nicht bestätigen.
WDR.de: Stimmt es, dass die Verletzten lange auf Hilfe warten mussten?
Höger: Es gab eine Versorgung durch Ärzte, die mit auf dem Schiff waren. Die haben die erste Versorgung gemacht, sobald sie an die Verletzten herankamen. Ansonsten haben sie sehr lange dort gelegen. Dann ist versucht worden, sie über die israelische Armee auszufliegen. Das hat ziemlich lange gedauert, und sie sind nicht besonders gut behandelt worden.
WDR.de: Wissen Sie etwas über den Verbleib der übrigen Deutschen, die sich auf dem Konvoi befanden?
Höger: Ich weiß nichts von anderen deutschen Mitbürgern, weil wir als Gruppe von fünf in einer Delegation von Anfang bis Ende zusammengeblieben sind. Wir haben auf dem Schiff deutschsprechende Türken getroffen, von denen wir nicht wissen, ob sie einen deutschen Pass haben, ich vermute es aber. Wir wissen leider nicht, was mit ihnen passiert ist.
WDR.de: In Presseberichten heißt es, die Soldaten seien zuerst angegriffen worden. Hätten Ihrer Meinung nach die Aktivisten auf dem Schiff die Eskalation verhindern können?
Höger: Es gab keine Gegengewalt. Es gab welche, die sich mit Stöcken zur Wehr gesetzt haben, aber das war Notwehr. Die Gewalt ist eindeutig nur von der israelischen Armee ausgegangen.
WDR.de: Der Weltsicherheitsrat fordert nun eine Untersuchung. Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen?
Höger: Eine Untersuchung ist eigentlich das Mindeste, was passieren muss, aber man weiß jetzt eigentlich schon genug, um das zu verurteilen. Allein schon die Tatsache, dass in internationalen Gewässern so ein Übergriff von der israelischen Armee gestartet worden ist, ist ein Verbrechen und muss verurteilt werden - sofort. Da braucht man keine lange Untersuchung.
Das Interview führte Katja Goebel.