Abgesehen von einer Betriebsversammlung mit anschließender Suppe für alle wollten die noch 1.622 Kumpel im Bergwerk Ost in Hamm die letzte Grubenfahrt nicht feiern. "Wir wussten alle, was auf uns zukommt und wann, aber es ist ein mulmiges Gefühl mitzuerleben, wie das gemeinsam Erreichte plötzlich weg ist", sagte Bergwerkssprecher Dirk Rehermann. Für viele war es nicht die erste Schließung, die sie miterlebten. "Wir sind aber froh, dass keiner ins Bergfreie fällt, sondern alle zunächst weiter beschäftigt sind."
Grube wird ausgeräumt
Knapp 600 Bergleute müssen schon ab Freitag (01.10.2010) längere Wege zu ihren neuen Arbeitsplätzen fahren. Sie wechseln zum Bergwerk Prosper-Haniel in Bottrop und zur Zeche Auguste Victoria in Marl. Die meisten anderen arbeiten zunächst weiter auf dem Gelände des Bergwerks Ost, das eine der modernsten Zechen weltweit war. Sie sollen helfen, die hochwertigen Maschinen, die weiter verwendet werden können, aus der Grube zu holen. "Die Zahl dieser Kumpel wird sich aber von Monat zu Monat reduzieren, weil sie die Zeche wechseln oder in die Anpassung gehen", erklärt Rehermann. Mit Anpassung ist der frühzeitige Ruhestand gemeint. Die betroffenen Bergleute bekommen dann eine Art vorgezogene Rente.
Schwerpunkt
Verunsicherung wegen Streit mit der EU
Die RAG sieht bei der geplanten, sozialverträglichen Personalverteilung keine Probleme. "Das ist unser tägliches Geschäft", betont Sprecher Christof Beike. "Mit Zechenstilllegungen haben wir Erfahrung". Für Verunsicherung sorgt aber der Streit um den sozialverträglichen Kohleausstieg bis 2018, der mit Milliardenhilfen subventioniert wird. Nach dem Willen der EU sollen unrentable Steinkohlebergwerke schon 2014 schließen. Die Kumpel und die RAG befürchten, dass es in dem Fall doch zu betriebsbedingten Kündigungen kommen könnte. Sie fordern deshalb, dass das Steinkohlefinanzierungsgesetz von 2007 eingehalten wird. "Darauf haben wir unsere Planung aufgebaut", erklärt Beike. Es sei Sache der Bundesregierung, diese Interessen bei der EU durchzusetzen.
Ansprechpartner für Anwohner bleiben
Bis Ende September 2011 sollen die Arbeiten auf dem traditionsreichen Pütt erledigt sein. Dann werden die meisten Schächte mit einem Spezialbeton gefüllt und einer Abdeckplatte verschlossen. Was mit dem Gelände anschließend passiert, ist noch offen. Langfristig bleiben noch 100 Bergleute am Standort, die sich um das Wasserhaltungssystem kümmern sollen, mit dem Grubenwasser kontrolliert abgeleitet wird. Für Anwohner mit Fragen oder Beschwerden, beispielsweise über Bergschäden, bleibt Pressesprecher Rehermann ein Ansprechpartner. Auch eine Hotline ist weiter erreichbar.
Ende einer langen Bergwerks-Geschichte
Mit Schließung des Bergwerks Ost endete die 109-jährige Geschichte der Anlage in Hamm, die 1901 mit der Eröffnung der Schachtanlage "De Wendel" begonnen hatte. Jährlich gut 1,5 Millionen Tonnen hochpreisige Kokskohle wurden zuletzt im Bergwerk gefördert. Im Boden liegen bis zu einer Tiefe von 1.500 Metern weitere Vorkommen für mehr als 25 Jahre. Dennoch kam der Standort nicht ohne millionenschwere Subventionen aus, weil die Erzeugungskosten höher lagen als die Weltmarktpreise.
Hamm richtet sich neu aus
Wie geht es mit der Stadt Hamm weiter, wenn die Fördertürme verwaisen und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor endgültig wegfällt? Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann gibt sich optimistisch: "Ich bin überzeugt, wir kriegen das hin." In Hamm seien schon vier Zechen geschlossen worden. Die Stadt wisse also, was auf sie zukommt und sei seit mehreren Jahren dabei, sich neu zu positionieren. So seien im Bereich Logistik 3.000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden, sagt Hunsteger-Petermann. Hamm setzt zudem auf Bildung. In der Stadt ist die private Hochschule für Logistik und Wirtschaft angesiedelt. Im vergangenen Jahr nahm zudem die Hochschule Hamm-Lippe den Betrieb auf. Mit dem Projekt "Im Westen was Neues" soll das Schacht-Franz-Gelände neu genutzt werden. Geplant sind unter anderem ein Spaß-Bad, eine interreligiöse Begegnungsstätte, Parkflächen und Wanderwege.