Es ist ihr Augenblick: Hannelore Kraft steht auf der Bühne in der Bürgerhalle des Landtags und ruft in die Menge: "Die SPD ist wieder da." Beifall. Eigentlich soll hier später die Landeswahlleiterin das vorläufige amtliche Wahlergebnis verkünden. Egal, Rüttgers' Herausforderin Kraft nutzt die Bühne, um klar zu machen, hier steht die neue Regierungschefin: "Ich werde Ministerpräsidentin. Ich werde das Land verantwortungsvoll regieren."
Dabei ist kurz vor 19 Uhr das Ergebnis alles andere als klar: SPD und CDU liefern sich am Sonntag (09.05.2010) bis in den späten Abend hinein ein Kopf-an-Kopf-Rennen: Wer stellt die stärkste Partei? Beide, Sozial- und Christdemokraten, liegen bei etwas über 34 Prozent, die Stelle nach dem Komma geht mal hoch, mal runter, je nach Hochrechnung. Ein solches Finale hatte vor wenigen Monaten noch keiner erwartet, Rüttgers galt als klarer Favorit. Kraft wurde oft als Verlegenheitskandidatin belächelt.
Aufmuntern bei der FDP
Die CDU ist laut vorläufigem Endergebnis zwar stärkste Partei, Schwarz-Gelb aber ist abgewählt, nach nur einer Legislaturperiode. Die schwarz-gelbe Landesregierung konnte ihren Amtsbonus nicht nutzen: Die CDU hat stark verloren, der Höhenflug der FDP bei der Bundestagswahl ist beendet. Dementsprechend versteinert die Gesichter bei den Liberalen. Es sind nur noch wenige da, als Noch-Innenminister Ingo Wolf (FDP) in die Fraktion kommt. Er klopft aufmunternd auf Schultern, denn nun müssen die Liberalen wieder auf die Oppositionsbank. "Schöner Mist", sagt einer. "Tja", ein anderer und zuckt mit den Schultern: "Die Politik in Berlin halt." Auch habe sich Rüttgers nicht immer klug verhalten.
Rüttgers taucht ab
Das sehen CDU-Mitglieder anders. Es habe eine "Schmutzkampagne gegen Rüttgers" gegeben, sagen zwei enttäuschte Anhänger. Rüttgers selbst spricht dann auch von einem "bitteren Abend" und macht "ein Bündel von Ursachen" für die Niederlage verantwortlich. Er trage "die politische Verantwortung für dieses Ergebnis. Und ich will sie auch tragen". Er wolle Gespräche mit den anderen Parteien führen. Rüttgers hat seinen Rücktritt als Landesvorsitzender angeboten, diesen habe der Landesvorstand abgelehnt, sagt Integrationsminister Armin Laschet später.
Der Rüttgers-Vertraute vertritt später den CDU-Landesvorsitzenden, der an diesem Abend nur im ZDF auftritt und im Anschluss abtaucht. Er verschwindet nach dem Interview im ZDF im Treppenhaus des Landtags und sagt alle weiteren TV-Auftritte ab, auch die traditionelle Elefantenrunde im WDR Fernsehen.
Kraft beansprucht Amt als Regierungschefin
Kraft tritt auf, strahlend. Dabei haben auch die Sozialdemokraten in ihrer alten Hochburg Verluste eingefahren. Zuvor ist die SPD-Landesvorsitzende von einer Traube von Kameras umgeben durch den Landtag und von Interview zu Interview gezogen, links ihren Mann Udo, rechts ihren Sohn Jan untergehakt. Kraft betont an diesem Abend immer wieder, dass sie regieren und zuallererst mit den Grünen, ihrem Wunschkoalitionspartner, sprechen wolle.
Königsmacher Grüne
Die sind die wahren Gewinner des Abends, haben ihre 6,2 Prozent von 2005 fast verdoppelt - und sind damit Mehrheitsbeschaffer. Der Jubel in der Fraktion ist groß: Johannes Remmel, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, lässt sich im Foyer umarmen - "Herzlichen Glückwunsch, Herr Minister", witzelt ein Gratulant.
"Wir sind die Königsmacher", sagt Sylvia Löhrmann selbstbewusst in die verschiedenen Kameras. Sie hoffe, dass es für Rot-Grün reiche. Ihre Partei stehe zur Verfügung, wenn sich ein "grünes Zukunftsprogramm" umsetzen ließe.
Was kommt nach Schwarz-Gelb?
Doch so richtig ist nicht klar, wen die Wähler statt Schwarz-Gelb in der Regierung sehen wollen. Denn genau ein Landtagssitz scheint darüber zu entscheiden, welche Regierung die absolute Macht hat: Mal hatte in den Hochrechnungen eine rot-grüne Koalition genau diesen einen Sitz Mehrheit im Landtag, mal hat ihn Schwarz-Grün, mal beide - und dann reicht es für keines der beiden Bündnisse. Das bedeutet ein Dreier-Bündnis oder die Große Koalition.
Für Rüdiger Sagel von der Linkspartei ist das rechnerische Hin und Her bei der Koalitionsfrage an diesem Abend von Anfang eher zweitrangig - denn seine Partei hat ihr vorderstes Ziel erreicht: Sie ist im Landtag. "Von wegen raushalten, wir sind drin." Und der Landessprecher der Partei, Wolfgang Zimmermann, zeigt den Fotografen eine rote Karte in die Kameras: "Wir sind da."
Eine wollte über die Linken an diesem Abend nicht sprechen. Kraft wiederholte immer wieder auf die Frage, ob sie auch mit der Linkspartei spreche: "Ich mache hier keine Koalitionsspekulationen."