Die Klimaanlagen waren in mehreren ICE ausgefallen. In den betroffenen Zügen herrschten Temperaturen von bis zu 50 Grad; die Fenster lassen sich in einem ICE nicht öffnen. 44 Reisende, darunter 27 Schüler, mussten in Bielefeld ärztlich versorgt werden. Die Bundespolizei "steht gerade am Anfang der Ermittlungen", sagte der Sprecher der Bundespolizei Münster, Rainer Kerstiens, am Montag (12.07.2010) zu WDR.de. Es bestehe der Anfangsverdacht der Körperverletzung und der unterlassenen Hilfeleistung. Die Ermittlungen erfolgten in enger Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft in Bielefeld. Die Bundespolizei Münster ist auch für Bielefeld zuständig.
Dramatisches Ende einer Klassenfahrt
Die Jugendlichen, Zehntklässler des St. Bernhard-Gymnasiums in Willich und Schüler der Sophie-Scholl-Gesamtschule in Remscheid, waren auf dem Rückweg von einer Klassenfahrt nach Berlin, als im ICE kurz nach der Abfahrt die Klimaanlage ausfiel. Wie mitreisende Lehrer später berichteten, bemühte sich das Zugpersonal, den Passagieren die Fahrt zu erleichtern: Zuerst durften die Schüler von der zweiten in die erste Klasse wechseln, dann, als auch dort die Lüftung ausfiel, die Plätze im Schatten belegen.
In Hannover schließlich seien die Schüler in einen verspäteten und vollkommen überfüllten ICE umgestiegen. Auch hier, im ICE 846 von Hannover nach Düsseldorf, war die Klimaanlage ausgefallen, wie ein Augenzeuge WDR.de sagte. In Durchsagen suchten die Zugbegleiter nach Ärzten, die sich um Hitzeopfer kümmern sollten, darunter ein Kind, das zusammengebrochen war. Lehrer und Schüler erzählten, eine Mutter habe versucht, ein Fenster mit dem Nothammer einzuschlagen, weil ihr kleiner Sohn nach Atem rang. Der Zug wurde schließlich in Bielefeld gestoppt. Dort kümmerten sich 91 Rettungskräfte am Bahnhof um die Fahrgäste. Wie ein Sprecher der Feuerwehr in Bielefeld sagte, waren 27 Schüler im Alter von 16 bis 18 Jahren wegen Kreislaufproblemen in ärztlicher Behandlung. Neun von ihnen seien in Krankenhäuser gebracht worden. Inzwischen sind alle Schüler wieder zu Hause.
Augenzeugen widersprechen der Bahn
Ein Bahnsprecher sagte auf Anfrage am Samstag (10.07.2010), es handele sich um einen Einzelfall. Der Augenzeuge widersprach: Er habe mehrfach den ICE wechseln müssen, weil jeweils die Klimaanlage ausgefallen waren und das Zugpersonal die Abfahrt nicht verantworten wollte. Nachdem ein Pressesprecher am Sonntagmorgen (11.07.2010) zunächst sagte, es habe bei Hannover lediglich einen weiteren Teilausfall gegeben, war am Sonntagabend schließlich die Rede von mehreren Ausfällen, die zu einem Stopp der ICE in Hannover führten.
"Beklemmung, Angst und Luftnot"
Am Montag (12.07.2010) schilderten Betroffene aus Willich dem WDR die dramatischen Szenen, die sich im überfüllten, unklimatisierten Zug abspielten. Schülerinnen sprechen von "Beklemmung, Angst und Luftnot", die sie im ICE empfunden hätten, nachdem sie umgestiegen waren. "Wir sind in den Zug eingestiegen und haben angefangen zu weinen. Wir waren nervlich ziemlich angeschlagen." Die Luft sei zusehends dünner geworden, eine Schülerin habe hyperventiliert. Von dem Bahnpersonal fühlten sich die Jugendlichen nicht hinreichend versorgt und unterstützt. Als sich eine Schülerin bei einer Bahnangestellten beschwert hatte, habe diese sogar geantwortet: "Wir sprechen uns nochmal, wenn Sie im Berufsleben stehen." Dass es sich bei den Problemen mit der Klimaanlage um einen Einzelfall handelte, bezweifelte ein Vater. Er schilderte, dass nach Aussagen seines Kindes ein Bahnangestellter vor der Eskalation gesagt habe: "Das kennen wir schon, die Klimaanlagen funktionieren nie, wenn es richtig heiß ist."
Remscheider Schule will Bahn verklagen
Betroffene Eltern überlegen nun gegen die Bahn zu klagen. "Wir wollen es auf keinen Fall auf sich beruhen lassen." Seitens der Schule wird es indes keine juristischen Schritte geben, wie der Schulträger mitteilte. "Wir sehen uns in der Vermittlerrolle, Klage zu erheben ist Sache der Eltern", so ein Sprecher. Demgegenüber kann die Bahn mit einer Schadenersatzklage aus Remscheid rechnen. Das kündigte die Schulleiterin Brigitte Borgstett an. Die Bahn habe den Vertrag auf Beförderung nicht erfüllt, sagte sie.
Ein Sprecher der Bahn erklärte, die Klimaanlagen fielen öfter aus, auch im Winter. "Aber im Winter hat das natürlich andere Folgen als bei dieser Hitze." Bahn-Vorstand Ulrich Homburg nannte die extremen Außentemperaturen und das hohe Fahrgastaufkommen als Gründe für die Ausfälle. Er stellte eine Entschädigung für die Passagiere in Aussicht, deren Gesundheit beeinträchtigt wurde. Die anderen Fahrgäste könnten die üblichen Leistungen bei Verspätungen in Anspruch nehmen.
Kritik vom Fahrgastverband "Pro Bahn"
"Das war ein Extremfall, so was hat es zuvor noch nicht gegeben", sagte Hartmut Buyken vom Fahrgastverband "Pro Bahn" WDR.de. Die Ursachen sieht er in dem Kostendruck, der noch aus der Amtszeit des Bahnvorsitzenden Hartmut Mehrdorn stamme. Die Bahn habe mit dem Hersteller Siemens zu niedrige Standards für den ICE-2-Typ entwickelt, bei dem Klimaanlagen ausgefallen seien, sagte Buyken. Die Extremtemperaturen, bis zu denen die Anlagen funktionieren, müssten höher angesetzt werden. "Es gibt aber auch Zwischenmaßnahmen, die man schneller ergreifen kann." Buyken nennt als Beispiel, dass die Ventilatoren weiterlaufen und Luft von außen in den Waggons verteilen: "Da wären es bei 35 Grad Außentemperatur im Zug vielleicht nur 40 Grad gewesen." Versagt hat nach Ansicht von Buyken auch das Bahnpersonal. So hätte der ICE nach der Abfahrt aus Hannover nicht noch 50 Minuten bis zum nächsten planmäßigen Halt in Bielefeld fahren müssen, sondern hätte nach Hannover zurückfahren können.
Bahnsprecher Jürgen Kornmann hatte am Sonntag (11.07.2010) gesagt: "Wir fahren jeden Tag 1.400 Fernverkehrsverbindungen und wir hatten gestern Probleme, zugegebenermaßen große Probleme, mit drei Zügen. Man sieht also, der absolute Großteil kommt sicher, bequem und komfortabel auch an." Diese Äußerung ist für Hartmut Buyken "eine bösartige Art, über Statistik etwas zu fälschen. Es handelt sich keinesfalls um Einzelfälle." Genaue Zahlen kann "Pro Bahn" nicht nennen, aber Probleme mit Klimaanlagen in Zügen kämen dem Fahrgastverband zufolge "auffallend häufig vor".