Neun Monate hatte Richter Hans Günter Görgen dem Angeklagten Michael Heckhoff geduldig zugehört. Doch am Mittwoch hatte der Jurist um 12.03 Uhr genug. "Jetzt rede ich!", sagte Görgen zu dem 52-jährigen Angeklagten. Der energische Ausbruch des sonst so ruhigen Richters verschlug Heckhoff ausnahmsweise die Sprache. Der Angeklagte schloss den Mund. "Ein persönliches Wort an Sie. So wie Sie hier geredet haben, wird das nichts mehr. Sie setzen den Leuten die Pistole auf die Brust: Jetzt wird hier gemacht, was der Heckhoff sagt. So läuft das nicht", sagte Görgen.
Heckhoff hatte im Prozess gefordert, dass er nicht lediglich eingesperrt werden dürfe, sondern eine Perspektive auf Freilassung bekommen müsse. Er ist, wie sein Kumpan Peter Paul Michalski (47), wegen verschiedener Verbrechen seit den 80er Jahren im Gefängnis.
Mit seinen ungewöhnlichen Worten meinte der Vorsitzende Richter der großen Strafkammer, dass Heckhoff sich in Zukunft gut führen soll, wenn er irgendwann wieder aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden will. Denn diese harte Maßnahme hatte das Gericht mit dem Urteil gegen Heckhoff und dessen Komplizen Peter Michalski angeordnet. Zehn Jahre Freiheitsstrafe für Heckhoff und zehneinhalb Jahre für Michalski lautete das Urteil: Geiselnahme, schwere räuberische Erpressung und weitere Delikte hatten die Männer begangen. Ob sie jemals wieder in Freiheit gelangen werden, ist mehr als ungewiss. Die vielen Zuschauer murmelten beifällig.
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Flucht hatte NRW tagelang in Atem gehalten
Damit setzte das Gericht einen Schlusspunkt unter die Akte 68 Kls 601 Js 1567/09. 39 Verhandungstage hatte der Prozess gedauert. Unzählige Zeugen und Sachverständige hatten seit Mitte Mai 2009 ausgesagt. Und der Angeklagte Heckhoff hatte sich ebenfalls viel Zeit genommen. Er hatte viel über angebliche Missstände in der JVA Aachen gesprochen. Als Motiv für die spektakuläre Flucht durch NRW hatte er die fehlende Aussicht genannt, jemals wieder frei zu kommen. Auch Michalski hatte dies als Motiv beschrieben.
Die beiden Männer waren im November 2009 aus der JVA Aachen ausgebrochen und hatten NRW einige Tage in Atem gehalten. Gegen beide war in früheren Prozessen bereits die Sicherungsverwahrung angeordnet worden. Geholfen hatte ihnen bei der Flucht der frustrierte Justizvollzugsbeamte Michael K. Der 42-Jährige wurde am Mittwoch (09.02.2011) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten wegen Gefangenenbefreiung und Bestechlichkeit verurteilt. Heckhoff und Michalski waren von ihm durch das Gefängnistor gelassen worden. Er hatte ihnen Schusswaffen mitgegeben. Heckhoff und Michalski hatten auf ihrer Flucht mehrere Geiseln genommen.
Gericht: Ausbrecher sind weiterhin gefährlich
Die Strategie der Angeklagten, angebliche Missstände in der JVA Aachen als Fluchtgrund zu nennen und deshalb auf milde Urteile zu hoffen, war nicht aufgegangen. Michalski holte tief Luft, als gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet wurde. Heckhoff kaute nervös auf einem Kaugummi herum. In ihrem letzten Wort hatten sie eindringlich das Gericht gebeten, nicht erneut unbestimmte Zeit im Gefängnis verbringen zu müssen. Doch Richter Görgen stellte klar: "Das sind subjektive Motive. Ob sie objektiv gegeben sind, ist etwas anderes." Das Gericht habe nicht aufklären müssen, ob die Vorwürfe stimmten. "Denn was haben die Opfer mit Ihren Beweggründen zu tun?", sagte Görgen laut. Mehrere Geiselopfer litten bis heute unter psychischen Problemen. Heckhoff und Michalski zeigten darauf keine Reaktion.
Gutachter hatten im Prozess den beiden Schwerverbrechern attestiert, dass sie noch immer gefährlich sind. Richter Görgen verwies darauf, dass die Männer nicht einfach geflüchtet seien, sondern dafür Menschen als Geiseln genommen hatten. "Sie hatten Pistolen mitgenommen. Es war also klar, dass es Opfer geben würde. Sie haben damit gezeigt, dass sie weiterhin die Neigung zu schweren Straftaten haben." An Heckhoff gerichtet fügte Görgen hinzu: "Wenn in der JVA Aachen weiterhin Missstände sind, dann tragen Sie doch dazu bei, dass es besser läuft. Nennen Sie Namen!". Der Richter schüttelte mit dem Kopf und sagte leise: "Aber das tun Sie eben nicht." Heckhoff hob hilflos die Hände, zuckte mit den Schultern und lachte lautlos.
Anwälte wollen in Revision gehen
Es wird möglicherweise der letzte große Auftritt des 52-Jährigen gewesen sein. Sein Anwalt Reinhard Dietz sagte: "Das ist faktisch ein Todesurteil. Wegen der noch offenen Strafen wird erst 2024 entschieden werden, ob die Sicherungsverwahrung verhängt wird." Dietz kündigte an, in Revision zu gehen. Auch Michalskis Anwalt, Andreas Chlosta, kündigte Rechtsmittel an: "Das Urteil nimmt ihm die Perspektive, jemals wieder frei zu kommen. Das ist nicht zulässig. Wir haben deshalb gute Chancen."
Bessere Aussichten hat dagegen möglicherweise der Fluchthelfer Michael K. Sein Anwalt Thomas Busch rechnete vor: "Abzüglich der Untersuchungshaft und wenn er nur zwei Drittel verbüßen muss, bleiben nur 19 Monate übrig. Ich gehe davon aus, dass mein Mandant deshalb in den offenen Vollzug kommt und dann tagsüber arbeiten kann." Ob er Revision einlegen werde, wisse er noch nicht. Gegen Michael K. wurde noch im Gerichtssaal der Haftbefehl aufgehoben. Oberstaatsanwalt Alexander Geimer hatte sieben Jahre Haft gegen den 42-Jährigen beantragt. Weil das Gericht deutlich darunter blieb, wolle er möglicherweise Revision einlegen.