Die vermissten Brennelementekugeln aus dem stillgelegten Forschungsreaktor in Jülich liegen nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) nicht im Atommülllager Asse bei Wolfenbüttel. Zwar seien 1976 in der Schachtanlage zwei Fässer mit Brennelementekugeln aus Jülich eingelagert worden, teilte das BfS in Salzgitter am Montag (04.04.2011) mit. Bei diesen Behältern könne es sich aber nicht um die jetzt als vermisst genannten rund 2.300 Brennelementekugeln handeln. "Das belegen das relativ geringe Gesamtgewicht und die Aktivität der aus Jülich eingelagerten Abfälle sowie die Tatsache, dass die Anlieferung und der Ort der Einlagerung dokumentiert sind", berichtete die Behörde. Bei den in der Asse eingelagerten Brennelementekugeln handele es sich um mittelradioaktive und nicht um hoch radioaktive Abfälle. Diese Lieferungen von 1976 sind der Atomaufsicht des Landes Nordrhein-Westfalen laut BfS auch bekannt.
Forschungszentrum vermisst keine Kugeln
Auch das Forschungszentrum Jülich erklärte am Montag, keine Brennelementekugeln zu vermissen. Ihr Verbleib sei "lückenlos dokumentiert", sagte der Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums, Achim Bachem, in Berlin. Jedes Milligramm des Materials sei erfasst und werde monatlich an das NRW-Energieministerium gemeldet.
Bei den angeblich verschwundenen rund 2.300 Kugeln aus dem stillgelegten Forschungsreaktor handele es sich überwiegend um Bruch, der größtenteils zu Forschungszwecken weiter zerteilt und dann als schwachradioaktiver Abfall in 200-Liter-Fässer einzementiert worden sei. Knapp 200 Kugeln befänden sich noch im Reaktor. "An diesem Sachverhalt hat sich in den vergangenen 20 Jahren nichts geändert", erklärte der Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums weiter. Gesellschafter des Forschungszentrums sind die Bundesrepublik (90 Prozent) und das Land NRW (zehn Prozent).
Kleine Anfrage war Ausgangspunkt
Das NRW-Wissenschaftsministerium hat allerdings dem WDR gegenüber die Darstellung des Forschungszentrums zurückgewiesen. "Wir haben nicht die komplette, lückenlose Mengenbilanz über das nukleare Material", sagte Ministerin Svenja Schulze (SPD) am Montagmittag. Der fehlende Teil müsse noch nachgewiesen werden. Da sei das Forschungszentrum nach wie vor gefordert. "Deshalb haben wir eine Sondersitzung des Aufsichtsrates des Forschungszentrums beantragt." Es müsse nun geklärt werden, was mit den Kugeln aus dem früheren Forschungsreaktor passiert sei, erklärte Schulze weiter. "Ob sie an einem anderen Ort gelagert wurden, als Bruch in Jülich einzementiert oder zu Forschungszwecken gebraucht wurden."
NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) hatte die Verwirrung um die Brennelementkugeln mit ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen ausgelöst. Darin hatte sie angegeben, es seien "allem Anschein nach" Brennelementkugeln im Forschungsbergwerk Asse gelagert worden. Am Montag verwies sie auf den vorläufigen Endbericht des Asse-Untersuchungsausschuss im niedersächsischen Landtag. Darin gebe es "den Hinweis, dass Grafitkugeln von Jülich nach Asse verbracht worden sind".
Vorwurf: "nicht akzeptable Spekulationen"
Der Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, Thomas Rachel (CDU), warf Schulze "nicht akzeptable Spekulationen" vor. Auch die FDP attackierte Schulze und warf ihr vor, gemeinsam mit den Grünen "die Ängste der Bevölkerung zu schüren". Die Landesregierung müsse aufklären, wer die politische Verantwortung für die unsaubere Dokumentation trage. Auf Antrag der FDP sollen sich der Wirtschafts- und der Umweltausschuss des Landtags am Mittwoch (06.04.2011) mit dem Fall Jülich befassen. Für die nächste Plenarsitzung des Landtags hat die FDP-Fraktion zusätzlich eine Debatte zum Thema beantragt. "Wir fordern die Landesregierung auf, die Konsequenzen aus dem Kommunikationsdesaster zu ziehen und lückenlos aufzuklären, wo die Brennelementekugeln lagern. Unbelegte Behauptungen an die Öffentlichkeit zu bringen, sind einer Landesregierung nicht würdig," erklärte der umweltpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Kai Abruszat, am Dienstag (05.04.11).
Bundesumweltministerium verlangt "Rapport"
Unterdessen bittet das Bundesumweltministerium die zuständige nordrhein-westfälische Landesaufsicht zum "Rapport". Das Bundesministerium sei einigermaßen irritiert darüber, wie NRW die der Aufsichtspflicht wahrnehme, erklärte eine Sprecherin am Montag. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) bestellte die für den früheren Forschungsreaktor zuständige Aufsichtsbehörde, das Düsseldorfer Wirtschaftsministerium, zur Berichterstattung ein. In dem Gespräch, das am Dienstag (05.04.2011) in Berlin stattfinden wird, soll die Aufsichtsbehörde darlegen, welche Kenntnisse sie über den Verbleib der Brennelementkugeln hat. "Insbesondere sollen die widersprüchlichen Angaben des Forschungszentrums Jülich und des dafür zuständigen Wissenschaftsministeriums in Düsseldorf aufgeklärt werden", erklärte eine Sprecherin Röttgens.