Anfang der 70er Jahre kam Vater Hasan Özdag allein mit einem Koffer nach Deutschland. Und hätte sich wohl nicht träumen lassen, gut 30 Jahre später mit seiner mittlerweile 13-köpfigen Familie im Mittelpunkt einer Fernsehserie zu stehen. Inzwischen leben die Özdags seit drei Generationen hier: Vater Hasan, Mutter Aliye, ihre sieben Kinder und vier Enkel. In der Kölner Keupstraße, einem Zentrum türkischer Kultur, betreiben sie eine Feinkonditorei. Wie sieht ihr Alltag zwischen türkischen Wurzeln und deutschen Einflüssen aus? Die Autorin und Regisseurin Ute Diehl hat die Familie mehrere Monate lang begleitet. Ihre siebenteilige Familiendoku "Die Özdags" startet im WDR Fernsehen am 7. Januar 2007.
WDR.de: Was haben Sie gedacht, als Sie sich zum ersten Mal in der Serie gesehen haben?
Selda Özdag: Oje - schrecklich! Ich mochte meine Stimme nicht besonders, und fand uns alle ganz schön laut - aber so sind wir eben. Wir sind sehr lebendig und laut - nicht immer, aber schon oft. Wir lassen uns gegenseitig nicht ausreden, jeder möchte jedem ins Wort fallen, weil wir uns einfach so viel zu erzählen haben! Deshalb reden wir auch oft nur halbe Sätze. Wir können auch gut streiten, auch das gern laut, aber wir können schon fünf Minuten später wieder zusammen einen Kaffee trinken gehen, dann ist das Ganze schon wieder vergessen.
WDR.de: Haben Sie eine Lieblingsszene in der Serie?
Selda Özdag: Ja, die, in der ich mich mit meinem Mann kebbele, darüber muss ich immer wieder lachen. Bei einem Fototreffen für ein Muttertagsgeschenk hat er sein Käppi angezogen, damit sieht er aus wie 20. Ich habe ihm gesagt, er soll die Mütze abnehmen, das wollte er aber nicht. Und dann habe ich ihm auf den Fuß getreten, bis er sie schließlich abgenommen hat. Meine ganze Familie stand um uns herum, er konnte also nicht viel machen - das habe ich gnadenlos ausgenutzt! Aber wir streiten uns sowieso gern - wir diskutieren halt gern! Wenn Sie drei kleine Kinder um sich herumlaufen haben, dann beschränkt sich die Konversation auch schon mal auf: Wenn du jetzt nicht die Windeln wechselst, dann geh ich gleich nicht die Bananen kaufen. Das ist nicht sehr erotisch in einer Beziehung, aber manchmal ist es halt so. Und mit der Kamera lief das dann noch mal auf einer besonderen Ebene ab. Wir fühlten uns ein bisschen geehrt, dass sich jemand für unsere Alltagssorgen interessiert!
WDR.de: Gab es Bedenken innerhalb der Familie, bei der Serie mitzumachen?
Selda Özdag: Ja, natürlich - monatelang haben wir darüber diskutiert: Wer könnte uns verletzen? Wollen wir uns wirklich mit unseren Fehlern und Schwächen zeigen? Machen wir uns angreifbar, weil wir eben nicht perfekt sind, weil es so persönlich ist, weil es in der eigenen Wohnung stattfindet? Aber die Regisseurin Ute Diehl hat uns überzeugt. Sie war sehr geduldig und sensibel, hat sich viel Zeit genommen, um jedes einzelne Familienmitglied kennen zu lernen. Sie hat uns einfach so sein lassen wie wir sind.
Außerdem hatten wir auf viele Fragen innerhalb unserer Familie keine Antworten. Und wir dachten: Vielleicht ist es mal an der Zeit, dass man das auch ausspricht und thematisiert.
WDR.de: Was meinen Sie damit, was sind das für Fragen?
Selda Özdag: Wir sind sieben Geschwister, dazu meine Eltern und vier Enkel. Da gibt es schon einen Generationskonflikt, außerdem auch eine Sprachbarriere innerhalb der Familie. Wir leben zwischen den Kulturen und haben dieses Thema nie wirklich behandelt. Als ich zum Beispiel Abitur machen wollte, hat meine Lehrerin mein Talent gesehen, aber mein Vater nur die Arbeit. Er hat gesagt: Du kannst machen, was du willst, so lange du im Betrieb mitarbeitest. Heute verstehe ich ihn, aber damals war das anders. Er sah seine Vaterpflicht darin, uns Arbeit zu geben, uns zu versorgen. Inzwischen weiß ich, wie schwierig es ist, seine Kinder auf den richtigen Weg zu bringen, gerade auf einer Straße wie der Kölner Keupstraße, wo so viele Minderheiten aufeinander prallen. Und ich denke, dass sich die Gesellschaft mit solchen Fragen der Integration jetzt auseinandersetzen muss. Deshalb finde ich es gut, dass so eine Serie gezeigt wird.
WDR.de: Sind die Özdags eine typische deutsch-türkische Familie, falls es so etwas überhaupt gibt?
Selda Özdag: Wir sind auf keinen Fall typisch türkisch. Aber was heißt das auch? Muss man ein Gemüsehändler sein und als Frau ein Kopftuch tragen? Ich merke manchmal, wie viele Vorurteile noch in den Köpfen stecken. Wir sind für viele Leute immer noch gerade mal für die billigsten Jobs gut. Dabei muss man doch auch den Generationen Respekt entgegenbringen, die hier geboren sind. Wir haben jetzt selbst schon Kinder hier. Und wenn wir auch noch das mitschleppen müssen, was unsere Eltern nie verkraftet haben, nämlich, dass sie hier nur als Gastarbeiter gesehen werden, dann frage ich mich: Wo soll das Ganze eigentlich hinführen? Ich habe schon meine Identitätskrisen hinter mir, als ich überlegt habe, was ich meinen Kindern mitgeben will. Sie wachsen mit vier unterschiedlichen kulturellen Wurzeln auf - und letzten Endes zählt für mich dabei nur, dass sie verstehen, was menschlich wichtig ist.
WDR.de: Was ist bei "Die Özdags" vielleicht anders als bei einer Serie über eine deutsche Familie?
Selda Özdag: Zum Beispiel, wie schon erwähnt - wir streiten viel! Und bei den Deutschen ist ja oft dieser "Kalte Krieg" so beliebt. Man sagt sich nichts oder geht bei einem Konflikt gleich juristische Wege, und das innerhalb der Familie. Manche Geschwister sehen sich jahrelang nicht wegen Streitigkeiten. Ich will die Deutschen damit aber nicht angreifen. Ich denke vielmehr, wir könnten uns sehr gut ergänzen - das wissen viele nur noch nicht. Wir Türken brauchen oft noch etwas mehr Bodenständigkeit, Sachlichkeit und Ruhe, statt gleich emotional, impulsiv und laut zu reagieren. Dafür haben wir einen engen Familienzusammenhalt und eine besondere Gastfreundschaft und Herzlichkeit - davon könnten die Deutschen vielleicht etwas lernen.
WDR.de: Für wen ist die Serie besonders interessant?
Selda Özdag: Ich glaube, für jeden, vom Zwei- bis zum 70-Jährigen. Denn es ist ja eine Familienserie mit drei Generationen, noch dazu sind wir alle sehr unterschiedlich: Der eine ist ein Chaot, die andere eine Perfektionistin, der dritte ein Trödler. Aber alle werden innerhalb der Familie akzeptiert. Und so können sich vielleicht auch viele in der Serie wiederfinden.
Das Gespräch führte Kathrin Heßling.